VOLKSOPER: LADY IN THE DARK von Kurt Weill am 18.12.2021 (Premiere)
Der Glamour- Traum. Copyright: Volksoper
Es ist ja allzu bekannt, dass dem amerikanischen Schaffen von Kurt Weill in deutschsprachigen Ländern mit grossem Misstrauen, um nicht zu sagen: mit herablassender Verachtung begegnet wurde und wird. Mit kaum verhohlener antisemitischer Stoßrichtung wirft man ihm vor, die „ernste Musik“ an die „Show“ verraten zu haben, indem er „biedere Zugeständnisse“ an „den schnellen Dollar“ gemacht hätte. Wie unfassbar infam diese faktenfreie Geringschätzung ist, bringt einer der wenigen wohlwollenden deutschen Kritiker sehr genau auf den Punkt: “ Erst den Mann vertreiben und ihm dann übelnehmen, dass er am Broadway sein Glück gesucht und gefunden hat…“
Da aufgrund dieser vorurteilsbeladenen Gemengelage Weills Broadway-Produktionen nur ganz selten den Weg auf unsere Bühnen finden, ist es der Wiener Volksoper nicht hoch genug anzurechnen, jetzt nach coronabedingtem Lockdown endlich seine „LADY IN THE DARK“ herausgebracht zu haben.
Um das Fazit schon vorwegzunehmen: diese Aufführung ist – man kann es nicht anders sagen – eine Sensation.
Allein schon das Stück! Es ist nicht nur ein absolutes Meisterwerk, es ist auch ein absolutes Unikat. Denn eigentlich sind es zwei Stücke, die in einer einzigartigen, kühnen und mutigen dramaturgischen Konstruktion neben- bzw. nacheinander, aber immer fein säuberlich voneinander getrennt, ablaufen: ein Theaterstück und ein Musical. Es ist, als wolle Weill der Opernästhetik seines verehrten Kompositionslehrers Ferruccio Busoni folgen, der den Einsatz von Musik auf der Bühne nur bei Liedern, Tänzen und dem Eintritt des Übernatürlichen gerechtfertigt sah. Nicht umsonst nennte Weill das Ding nicht Oper, nicht Operette, nicht Revue, nicht Musical, sondern „musical play“ (Musik–Theater würde man das hierzulande heutzutage nennen).
Es fängt schon völlig ungewöhnlich an, mit einer 15 Minuten langen Prosaszene, die noch dazu bei einem Psychoanalytiker spielt! (Leichte Unruhe im Publikum). Liza Elliot, die erfolgreiche Herausgeberin einer schicken Modezeitschrift (eine Art Anna Wintour der 40er Jahre) hat eine Krise. Sie wirft mit Briefbeschwerern nach Mitarbeitern, kann sich zu gar nichts entscheiden und weiß nicht, was da mit ihr los ist. Also sucht sie Doktor Brooks (ganz bei sich, voll konzentriert und völlig uneitel: Robert Meyer) auf, und bittet ihn, ihr zu helfen. Nach anfänglichen Widerständen („Ich glaube nicht an die Psychoanalyse! “ „Wieso haben Sie keinen Bart und keinen Wiener Akzent?“) lässt sie sich letztlich doch auf seine Methode ein. Die eigentliche Analyse ist dann als Traumsequenzen gestaltet, die wiederum als „Musical-Akte“ präsentiert werden (einer großartiger als der andere) – immer wieder unterbrochen von Prosaszenen, die im Büro des Modemagazins „Allure“ spielen.
Weills Musik ist von einem ungeheuren Einfalls- und Ausdrucksreichtum. Der kompositorische Bogen reicht von der fetzigen Ballade „Saga of Jenny“ über das dadaistische Couplet, in dem einfach nur 50 russische Komponisten in einem Affentempo aufgezählt werden, bis bin zu dem unendlich lyrischen „Kinderlied“ „My ship“, durch das sich dann schließlich die Ursachen für Lizas Traumata endlich aufklären lassen.
Matthias Davids ist einer der besten Musicaltheater-Regisseure unserer Zeit. Für seine Volksopern-Vorgängerproduktion, den Offenbachschen „Karottenkönig“ hat er letztes Jahr völlig verdient den begehrten Österreichischen Musiktheaterpreis eingeheimst. Und für „Lady in the Dark“ ist er sicher wieder ein ernstzunehmender Kandidat, denn gemeinsam mit Hans Kudlich (Bühne), Susanne Hubrich (Kostüme) und Florian Hurler (Choreographie) gelingt ihm hier eine rundum gelungene, exemplarische Modell-Inszenierung.
Der absolute Höhepunkt des von Anfang bis Ende wunderbaren Abends ist zweifellos die (völlig unerwartete) Alptraumsequenz nach der Pause. Denn hier wird der (nuttig gekleideten und in einem Käfig gehaltenen) Liza Elliott in einem Zirkus (!) vom Zirkusdirektor der Prozess gemacht – weil sie sich zwischen nichts und niemandem entscheiden kann…
Das Zirkus-Tribunal. Copyright: Wiener Volksoper
Weill und seine genialen Librettisten Moss Hart und Ira Gershwin waren ihrer Zeit wirklich sehr weit voraus. Denn was ihnen hier 1941 vorbildlos einfällt, diese vollkommen schräge Kombination von Alptraum, Gericht und Zirkus wird erst 20 Jahre später in Federico Fellinis „Otto e mezzo“ wieder aufgegriffen und mit dem Epitheton „fellinesk“ versehen zu einer Weltmarke werden.
Das Ensemble ist makellos und weist keinerlei Schwachstellen auf. Aber selbstverständlich „stauben“ manche Darsteller – rollenbedingt – mehr ab als andere. Allen voran naturgemäß die (von manchen Kollegen sogar als „göttlich“ apostrophierte) Julia Koci als Liza Elliot, aber auch Jakob Semotan, Christian Graf, Axel Herrig, Ursula Pfitzner, Johanna Arrouas u.v.a.m…Und Weill-Experte James Holmes treibt das Volksopernorchester energetisch zu Höchstleistungen an.
Gar nichts, gar nichts auszusetzen? Nun ja, wenn man man unbedingt ein Haar in der Suppe finden will, müsste man erwähnen, dass die Darsteller generell (sogar „Göttin“ Koci) in den gesprochenen Passagen nicht so souverän sind wie in den gesungenen…Aber seien wir diesbezüglich ausnahmsweise gnädig!
Diese „Lady“ ist eine Must-see-Show, am besten gleich mehrere Male (aber erst, wenn man keinen PCR-Test mehr braucht)…..
Robert Quitta