Toll trieben es die alten Römer – die Linzer Musicalexperten können das aber auch. Foto: Reinhard Winkler / Linzer Landestheater
Linz: „DIE SPINNEN, DIE RÖMER (A Funny Thing Happened on the Way to the Forum)“ – Premiere am Musiktheater des Landestheaters, Großer Saal, 01. 02.
Buch von Burt Shevelove und Larry Gelbart, Musik und Gesangstexte von Stephen Sondheim, Original-Produktion am Broadway von Harold S. Prince; Deutsch von Roman Hinze (auch bekannt als Arne Beeker)
In deutscher Sprache mit Übertiteln (etiam in ligua latina)
„Vaudeville“, ein Begriff unklarer Herkunft, war die Bezeichnung für sowas wie einen Schlager im Frankreich des 16. Jahrhunderts, später für populäre Bühnenunterhaltung. In dieser Bedeutung übersiedelte er in die USA, wo Vaudeville-Theater dann um 1900 extrem verbreitet waren. Bespielt wurden sie vor allem von Darstellern osteuropäisch-jüdischer und italienischer Herkunft. Eine schöne filmische Rekonstruktion solch einer show findet sich in Francis Ford Coppolas „Pate II“, mit Vito Corleone und Genco Abbandando im Publikum.
Die feineren Seiten der menschlichen Natur sprach diese Art von Theater wenig an; metoo-ProtagonistInnen und Apostel der political correctness würden aus so einer Vorstellung kreischend, shitstormend, mit gesträubten Haaren fliehen – aber die USA der großen Einwanderungszeit waren auch nicht gerade ein Land für Zartbesaitete. Der aufkommende Film unterminierte diese rauhe Kultur, nicht zuletzt durch Kaperung deren Stars für die – grundsätzlich „zahmere“ – Leinwand; Symbol des Todesstoßes für das Vaudeville ist, daß dessen größter Star, Al Jolson (geboren als Asa Yoelson im heutigen Litauen) die Hauptrolle im ersten kommerziellen Tonfilm („The Jazz Singer“) spielte, sang und sprach. Weiter glattgebügelt wurde die Szenerie durch den „production code“ (nichts anderes als Zensur) des „Hays office“ in Hollywood ab 1934. Zwar blieb das Theater freier, aber nach 2. Weltkrieg und McCarthy-Zeit konstatierte man auch am Broadway ein „Vulgaritätsvakuum“.
Dieses aufzufüllen machten sich die Autoren dieses respektlosen und turbulenten Spaßes, im Prinzip die altrömische, Plautus-gestützte Version eines Feydau’schen Türenknallers, Anfang der 1960er zur Aufgabe. Bezug zur Vaudeville-Tradition zeigt schon der Titel, der eine viel strapazierte Conference-Einleitung („a funny thing happened on the way to the theater“) zitiert. Die Uraufführung am 8. Mai 1962 war ein gewaltiger Erfolg (964 Vorstellungen en suite) und ein Befreiungsschlag gegen den Fünfziger-Mief. Wesentlichen Anteil daran hatte der Darsteller des Pseudolus, Zero Mostel – ein anarchischer Komiker, 1943 von der Mutter aller Illustrierten, „LIFE“, „the funniest American now living“ genannt, der später noch als verkommener Fürst Potemkin neben Jeanne Moreaus Zarin Katharina, Max Bialystok in den „Producers“ und erster „Milchmann Tevje“ glänzen sollte.
Eine Verfilmung, Regie Richard Lester, Kamera Nicolas Roeg, folgte 1966. Auch in dieser spielte Zero Mostel die Hauptrolle; Buster Keaton war als Erronius letztmalig auf der Leinwand zu sehen und sprach dabei sogar, lachte aber natürlich nicht.
Hans Kudlich, Arne Beeker. Foto: Petra und Helmut Huber
Die originale Bühnenszenerie (die im Film freilich oft verlassen wird) sieht drei nebeneinander stehende Häuser vor – und in diesen bzw. auf der Straße davor spielt sich die Handlung ab. Hans Kudlich hat ein fast – kleine Abweichungen sind gewollt und dienen der Satire – stilechtes altrömisches Wohnviertel auf die Bühne gestellt, vielleicht mit ein bisserl Palladios Teatro Olimpico von Vicenza im Hinterkopf. Die Spielfläche reicht bis weit über den diesmal abgedeckten Orchestergraben, damit zu dessen großem Vergnügen bis ins Publikum. Zu Feydeau gehören natürlich Schwingtüren (durch die Personen regelmäßig zur Unzeit auf- und abtauchen), und auch auf diese hat Kudlich nicht vergessen; eine delikate Sache für die Technik, wie er beim dieser Produktion gewidmeten Sonntagsfoyer der „Musiktheaterfreunde“, sagte: „Man glaubt nicht, was mit Bühnentüren alles schief gehen kann“. Es geht heute nix schief, also wurde in den Werkstätten sauber gearbeitet, und das teils höllische Tempo der Szenenwechsel kann unbehindert wüten.
Die Musik, ca. 40 Damen und Herren des Bruckner Orchesters, sitzt wie bei der Penthesilea/Schoeck-Produktion 2019 weit hinten oben – auf den „Hausdächern“, vor einem „romanoiden“ Prospekt. Unter der Leitung von Juheon Han wird stilsicher und swingend präzisest musiziert – bei einem Tempostück entscheidend für gute Wirkung.
Die Inszenierung durch den Musical-Spartenchef Matthias Davids erfüllt alles, was es braucht, um so ein Stück ohne viel Tiefgang und nüchterner Plausibilität überzeugend und fesselnd ans Publikum zu bringen: Frechheit, Schrillheit, atemberaubendes Tempo, vergnügt hemmungsloses Outrieren, eine slapstickhafte Choreografie (Simon Eichenberger). Bunte, wahnwitzig übertriebene Kostüme (Susanne Hubrich) mit köstlichen Details (als Senex aus dem Bad kommt, trägt er einen Frotteemantel, bestickt mir den Worten „non olet“) passen dazu. Das alles wird serviert mit der wie selbstverständlich wirkenden, also gut geprobten Präzision, ohne die viele gags gar nicht funktionieren würden. Für die südliche Sonne sorgt Michael Grundner.
Dramaturgie samt einer, gemessen am Text der Verfilmung, präzisen Neuübersetzung: Arne Beeker; er schafft es vor allem auch, den originalen Witz (und die originalen Witze) über die Sprachgrenze zu transportieren! Schon vor Beginn läßt er uns raten, Mobilphone eingeschaltet zu lassen und gute Manieren zu vergessen – schließlich ist das hier nicht die Oper!
Gernot Romic. Foto: Reinhard Winkler /Linzer Landestheater
David Arnsperger als Pseudolus braucht sich vor Rollenkreator Zero Mostel nicht zu verstecken: ein verschlagener Meister der Chuzpe, Jongleur mit Schwertern wie Menschen, flehend, bittend, tobend, herrisch, kriecherisch – alles im Handumdrehen abrufbar, kombiniert mit großer Körperbeherrschung und einer operngeschulten Singstimme. Heftige mimische Konkurrenz erfährt er freilich durch Gernot Romic in der Rolle des Hysterium, sein Sklavenkollege im selben Haushalt, der durch die genialen Pläne des Pseudolus oftmals in fürchterlichste Bredouillen gerät und sich vergeblich bemüht, einen Rest von Selbstwert und Ansehen zu wahren. Da hilft ihm oft nicht einmal sein engels- oder Merkur-gleiches Schweben durch die Szenerie, mit rollenbewehrten Schuhsohlen bewerkstelligt. Ein zwerchfellerschütterndes Duo!
Der Senex von Klaus Brantzen hat zwar weniger Zeit auf der Szene als die Vorgenannten, aber die, die er hat, nutzt er ebenso bestens für die köstliche Charakterisierung des (nicht grundlos) unterdrückten Ehemannes von Domina. Diese verkörpert mit Lust und Vergnügen am bösen Lied und verrückten Spiel Sanne Mieloo, auch sie ein wahres Erlebnis. Der nach Maßstäben dieses Stückes peinlich normale Hero, beider Sohn, wird von Lukas Sandmann mit entzückender Naivität dargestellt. Seine Sehnsucht gilt Philia, einer jungfräulichen Kurtisane (öhm…) mit Bildungsmängeln; Hanna Kastner haucht ihr liebreizendes Leben, auch nicht ohne doppelten Boden, ein.
Letztere ist aber schon an Miles Gloriosus, einem SEHR großen Hauptmann (20 cm Kothurnen!) verkauft; Christian Fröhlich leiht ihm in allen Aspekten Trittsicherheit und seine gute Stimme.
Kurtisanenhändler Marcus Lycus (Karsten Kenzel) irrlichtert ebenso höchstvergnüglich durchs Bild wie der alte, verzweifelte Erronius (William Mason), mit dem man fast echtes Mitleid haben könnte – aber bevors womöglich kitschig wird, steht er im Zentrum eines natürlich auch reichlich witzig-absurden happy end.
Daniela Dett. Foto: Reinhard Winkler/ Landestheater
Im Film wimmelt es vor Komparserie. Auf der Bühne, schon bei der Ur-Produktion 1962, waren das nur „drei Proteanerinnen“ – Piraten, Sklaven, Bürger, Eunuchen, Soldaten. Mit unermüdlicher Schwurbeligkeit, genau kalkuliertem Chaos, an Zahl und Tempo wahnwitzigen Umzügen schaffen das die Meisterinnen der Komik Daniela Dett, Celina dos Santos und Lynsey Thurgar; hinter der Bühne herrscht wohl ziemliche Hetze für die Kostümabteilung, einmal hängt der fat suit für einen Eunuchen etwas – eines unter hundert Malen passiert, oder Absicht, um zu zeigen, was für Aufwand da nötig ist?
Kabinettstückchen liefern die Handelsobjekte von Lycus: als exotisch tanzende Tintinabula Timo Radünz, als Panacea Hannah Moana Paul; die Geminae sind Yuri Yoshimura und Beate Chui, die wilde Schönheit Vibrata Brittany Young. Das Bewegungswunder Gymnasia wird von der Kontortionistin Maria Gschwandtner atemberaubend und wirbelsäulenverstörend verkörpert; sie kann aber genauso gut singen und tanzen.
Jubel und Begeisterung für eine erstklassig präsentierte, grandios verrückte und respektlose Bühnenshow. Aber es bleibt die bange Frage, ob so etwas heute überhaupt noch geschrieben werden dürfte? Oder haben nicht längst junge, natürlich nur das Beste im Sinn führende Frauen die üble Rolle des weißen alten engstirnigen Mannes Will H. Hays übernommen?
Petra und Helmut Huber
Premierenfeier. Foto: Petra und Helmut Huber