Stückinfo

Domstufenfestspiele Erfurt
Uraufführung 5. Juli 2008

Musik Gisle Kverndokk
Buch und Liedtexte Øystein Wiik
Deutsch von Carola Schiefke und Stephan Kopf

Im Mittelpunkt des Musicals steht der Mensch Martin Luther in seiner Widersprüchlichkeit, geprägt von den Extremen seiner Zeit. In einem spannenden Bilderreigen sehen wir den jungen Erfurter Studenten, hin und her gerissen zwischen Liebe, politischen Intrigen, einem starken Willen auf der einen und ebenso starken Zweifeln auf der anderen Seite. Langsam entwickelt er sich zum Revoluzzer, aus dem später der Reformator wird. Was war er für ein Mensch – Martin L., noch ohne den „großen“ Namen? Die wenigen bekannten historischen Fakten aufgreifend, nutzt das Musical die direkte und emotionale Wirkungsmöglichkeit des Genres, um eine eigene, teils fiktive Geschichte zu erzählen.

Gisle Kverndokk und Oystein Wiik bilden das derzeit produktivste und erfolgreichste europäische Autorengespann im Bereich Musical. Nach dem Erfolg von Sofies Welt 1998 folgte im Jahr 2001 Vincent van Gogh (in beiden Werken spielte Wiik auch die Hauptrolle). Ein Jahr später war die Uraufführung von Gefährliche Liebschaften, dem, wiederum knapp ein Jahr später, das Musical Heimatlos folgte, das nach seiner Uraufführung im Oktober 2003 in Oslo zu einem der größten Musicalerfolge Nordeuropas wurde. Wiik und Kverndokk wurden von der Norwegischen Nationaloper beauftragt, die Eröffnungsoper für das neue Opernhaus in Oslo zu schreiben: Jorden Rundt, nach Jule Vernes Roman In 80 Tagen um die Welt, wird dort im Frühjahr 2008 uraufgeführt. Auch das nächste Musicalprojekt ist schon nahezu abgeschlossen: eine Musical-Comedy auf Basis der Kriminalgeschichten von Dickie Dick Dickens nach Rolf und Alexandra Becker.

Medien

Leitungsteam

Regie
Matthias Davids
Musikalische Leitung
Philip Tillotson
Bühne
Knut Hetzer
Kostüme
Knut Hetzer
Choreografie
Kurt Schrepfer
Chor
Andreas Ketelhut
Dramaturgie
Arne Langer

Darsteller

Martin
Yngve Gasoy-Romdal
Jörg
Carsten Lepper
Ursula Schalbe
Petra-Madita Kübitz
Bunz, Martins Freund; Tetzel
Fernand Delosch
Steffen, Martins Freund; Andreas Karlstadt, Theologe in Wittenberg
Frank Winkels
Caspar, Martins Freund; Philipp Melanchthon, Professor in Wittenberg
Máté Sólyom-Nagy
Hans Luther, Martins Vater; Friedrich der Weise, Kurfürst von Sachsen
Axel Meinhardt
Johann Staupitz, Theologe in Wittenberg; Johannes von der Ecken, Theologe
Michael Tews
Papst Leo X.
Charlie Serrano
Thomas Müntzer
Matthias Sanders
Georg Spalatin, Vertrauter des Kurfürsten
Frank Logemann
Aleander, päpstlicher Nuntius; Georg Kieritz, Ursulas Verlobter
Jörg Rathmann

Presse

Martin L. Superstar

In der Tat steckt in dem Werk des erfolgreichen Musical-Autorenteams Oystein Wiik (Libretto) und Gisle Kverndokk (Musik) viel künstlerische Potenz, die "Martin L." in Erfurt vielleicht einen Platz zuweisen könnte, wie ihn der "Jedermann" in Salzburg behauptet. Selten nahm die wunderbare Kulisse von Mariendom und St. Severi ein Werk so selbstverständlich an, selten gaben sich die berühmten Stufen so spieltauglich und sinnfällig. "Martin L." bedeutete den versprochenen großen Moment für Erfurt. Regisseur Matthias Davids und Ausstatter Knut Hetzer sprechen eine gemeinsame Sprache, wenn sie - nicht nur der dezent illuminierten, überdimensionierten Nägel als Ausdruck des Gewissenkonflikts wegen - die römische Kurie mit Papst Leo X. (Charlie Serrano) an der Spitze in Golfbuggies auffahren und stepptanzend das süße Leben loben lassen. Die komplexe Dramaturgie im versöhnenden Geiste des Psalm 23 zu beschließen, ist fast eine göttliche Eingebung zu nennen.

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Thüringer Allgemeine

Martin L. Superstar

Von Ursula Mielke

Man muss kein Prophet sein, um zu vermuten, dass die Erfurter, vielleicht sogar die Thüringer, künftig von „ihrem“ Musical sprechen, wenn sie Eindrücke von der umjubelten Premiere „Martin L.“ bei den Domstufen-Festspielen 2008 Freunden und Bekannten mitteilen.

ERFURT. In der Tat steckt in dem Werk des erfolgreichen Musical-Autorenteams Oystein Wiik (Libretto) und Gisle Kverndokk (Musik) viel künstlerische Potenz, die „Martin L.“ in Erfurt vielleicht einen Platz zuweisen könnte, wie ihn der „Jedermann“ in Salzburg behauptet. Und wer seinerzeit der Weihe des Opernneubaus mit Peter Aderholds „Luther“-Oper beiwohnte, dürfte jetzt einen Gedanken daran verschwendet und registriert haben, dass ihm von diesem Opus nichts weiter als das imposante Bild gebrochener Orgelpfeifen in Erinnerung blieb.

Mit „Martin L.“ wird das anders sein. Außerdem: Mit einem Stück über eine bedeutende Figur der Kirchen- und Weltgeschichte kann und darf sich ein Theater keinen Skandal leisten, gar dem Trivialen Tür und Tor öffnen. Dem Erfurter Theater, insbesondere Generalintendant Guy Montavon, gilt deshalb uneingeschränkt Respekt. Selten nahm die wunderbare Kulisse von Mariendom und St. Severi ein Werk so selbstverständlich an, selten gaben sich die berühmten Stufen so spieltauglich und sinnfällig. „Martin L.“ bedeutete den versprochenen großen Moment für Erfurt.

Dabei ist „Martin L.“ wie jedes andere Werk mit dem Maß des Genres zu messen, dem es angehört. Aber auch in dieser Hinsicht punktet die Uraufführung ungemein. Die für ein Musical unabdingbare Stilfülle stellt sich als ein gut funktionierendes Ganzes dar. Regisseur Matthias Davids und Ausstatter Knut Hetzer sprechen eine gemeinsame Sprache, wenn sie – nicht nur der dezent illuminierten, überdimensionierten Nägel als Ausdruck des Gewissenkonflikts wegen – die römische Kurie mit Papst Leo X. (Charlie Serrano) an der Spitze in Golfbuggies auffahren und stepptanzend das süße Leben loben lassen. Hier wie im Gegenüber von Aufständischen und Papstgarde steht der von Andreas Ketelhut einstudierte Opernchor Gewehr bei Fuß, zuvor auf der Domempore die räumliche Verbreitung reformatorischer Ideen zeigend. Das Maskenspiel bei Dantes Inferno ist nicht nur ein wichtiges Stück Theater im Theater, sondern exzellenter Widerpart zu den mehr als sieben Todsünden der Herrschenden. Auch ein anderes Stilmittel des Genre wissen die Autoren gut zu platzieren, was letztendlich für die Qualität des Librettos spricht. Und dies spricht neben Bildungsbürgern bekannten Bibelzitaten im Ton sozialkritischer Leichtgläubigkeit – „Nur ein Blutegel kann Advokat sein“. Zudem weiß Luthers Anhänger Melanchthon (Máté Sólyom-Nagy), dass die Verleumdung der Konkurrenz der Lehre den Sieg garantiert. Ablasshändler Tetzel (Fernand Delosch) kostet seinen Brutal-Part genüsslich aus.

Musicalspezialist Philip Tillotson und Dirigent eines gut disponierten wie dynamisch sehr flexibel spielenden Philharmonischen Orchesters lobt die Komposition zurecht als schön differenziert. Im dunklen Streicherton hebt das Werk an, saugt klangliches Kolorit der Luther-Zeit auf, setzt pikante Synkopen, wenn Bruder Martin einen Schleichweg zu den Frauen sucht, verbreitet an einem linden Abend auf der Wartburg melancholischen Streicherduft.

Natürlich kann auch die autonome Klangsprache auf Klischee-Melodik der Marke Webber & Co. nicht verzichten. Selbst in diesen Szenen hält sich die grundtönige Mischung der Stimmregister – bestens als Belting (Schmettern) bekannt – beim Protagonisten wie bei den anderen Hauptfiguren in angemessenen Grenzen. Nichts wirkt überdreht bzw. äußerlich hemmungslos, etwa während Luthers Läuterung in der Gewitterszene oder wenn die fiktive Geliebte Ursula (Petra-Madita Kübitz) um eine sie bis zum Schluss leitende Hoffnung fleht.

Ein besonders bewegender Augenblick war mit Luthers stillem Moment des Selbstzweifels gegeben. Um seinen ketzerischen Geltungsdrang wissend, intoniert die E-Gitarre zaghaft „Ein feste Burg ist unser Gott“, und die Bühnenwelt hält für intensive Sekunden den Atem an. Den großen Spielbogen für die Partie, den rechten Akzent für Dialoge sowie den melodischen Schmelz habend, glänzte Yngve Gasoy-Romdal in der Titelrolle. Die anderen Akteure ihm in nichts nach – Carsten Lepper als bissiges Gewissensdouble Jörg, Matthias Sanders als aufrührerischer Thomas Müntzer.

Die komplexe Dramaturgie im versöhnenden Geiste des Psalm 23 zu beschließen, ist fast eine göttliche Eingebung zu nennen. Denn so möchten wir doch alle bleiben im Hause des Herrn immerdar oder wenigstens bis zum 500. Jahrestag der Reformation 2017.

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Thüringer Allgemeine

Der Reformator als Musical-Held

Das Philharmonische Orchester, der Chor, eine Rockgruppe und die Sänger um den Norweger Yngve Gasoy-Romdal in der Titelrolle gaben ihr Bestes, und so war ein anspruchsvolles, modernes Musical zu sehen, das im Grunde Heterogenes zu verbinden suchte: Rockmusik und Lautenspiel aus der Renaissance, Anklänge an klassische Musik und Luthers Kirchenlied «Ein feste Burg ist unser Gott».

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Erfolgreiche Uraufführung von «Martin L.» auf den Erfurter Domstufen
Windmaschinen und Pyrotechnik 

Von Jochen Wiesigel

Der Reformator als Musical-Held

06.07.2008

Erfurt (AP) «Die Musik ist die beste Gottesgabe – und dem Satan sehr verhasst», sagte Martin Luther in einer seiner Tischreden. Dass er selbst einmal Mittelpunkt eines Musicals sein würde, hätte sich der große Reformator aber sicher nicht gedacht. In Erfurt, wo Luther schon mit einer Oper ein musikalisches Denkmal gesetzt wurde, hatte nun am Samstagabend auf den Domstufen das Musical «Martin L.» seine Uraufführung. Mit großem Beifall und Bravo-Rufen nahm das Erfurter Publikum die Inszenierung mit Pyrotechnik, Nebelmaschinen, Rockmusik und Lautenklängen auf. Das Spektakel fand vor der großartigen Kulisse von Mariendom und St. Severi statt. Riesige Nägel, die wie in die Stufen gerammt wirkten, dominierten das Bühnenbild, auf dem die Akteure die Jugend- und Studienjahre des Reformators, der in Erfurt studierte, bis zu den Wirren des Bauernkrieges in einem geradezu atemberaubenden Tempo aufführten. Die Grundlage für das Musical schuf das erfolgreiche norwegische Autorengespann Gisle Kverndokk als Komponist und Oystein Wiik als Librettist. Die musikalische Leitung lag in den Händen des Kanadiers Philip Tillotson, Regie führte Matthias Davids. Die Gesamtleitung der Festspiele hatte Generalintendant Guy Montavon, ein Schweizer, der nach eigenen Worten davon überzeugt ist, dass dieses Musical einmal um die Welt gehen wird. 

Das Philharmonische Orchester, der Chor, eine Rockgruppe und die Sänger um den Norweger Yngve Gasoy-Romdal in der Titelrolle gaben ihr Bestes, und so war ein anspruchsvolles, modernes Musical zu sehen, das im Grunde Heterogenes zu verbinden suchte: Rockmusik und Lautenspiel aus der Renaissance, Anklänge an klassische Musik und Luthers Kirchenlied «Ein feste Burg ist unser Gott». 

Beeindruckende Bilder 

Auch in der Musicalhandlung wurden die künstlerischen Freiheiten reichlich genutzt. Die Schöpfer spielten mit dem historischen Material: Sie erfanden eine Liebesgeschichte zwischen dem Studenten Martin und der Erfurter Bürgerstochter Ursula Schalbe, die nach dem Willen ihres Vaters mit einem reichen Mann verheiratet werden sollte. Natürlich fehlte auch das berühmte Gewitter nicht, in dem Martin gelobte, ein Mönch zu werden. In beeindruckenden Bildern, bei denen Nebelmaschinen und Pyrotechnik in vollem Einsatz waren, lief das Musical ab, wobei die historischen Fakten die Wegpunkte vorgaben, gewissermaßen wie die riesigen Nägel des Bühnenbildes: Der Kampf gegen den Ablasshandel und gegen die Machenschaften des Papstes Leo, schließlich der Thesenanschlag in Wittenberg, die Vorladung zum Wormser Reichstag, und die Verurteilung durch Papst und Kaiser, Thomas Müntzer und der Bauernkrieg. 

Erst vor fünf Jahren war das neue Erfurter Theater mit der Oper «Luther» eingeweiht worden. Nun, zu den Domstufenfestspielen, erscheint der Reformator wieder in Erfurt, diesmal als Musical und an einem Ort, an dem der Reformator lebte, in seiner geistigen Heimat. Der von Generalintendant Montavon erhoffte Welterfolg wäre dem Musical sicher, wenn das Ensemble auch die beeindruckende Kulisse von Mariendom und St. Severi mitnehmen könnte.

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Gewitterdräuen

Øystein Wiik (...) zaubert eine Lutherinterpretation auf die Stufen zwischen Dom und St. Severikirche, die die Lust auf Unterhaltung, Aufklärung und Diskurs bedient. Weltgeschichtlichen Bewegungen entsprechen innere. (...) Matthias Davids inzeniert diese hochkomplexe und intensive Geschichte in einer gelungenen Balance, die oberlehrerhafte Belehrung vermeidet, ohne die Tiefe und Dichte zu verraten. Nutzen und Frommen der Historie, ohne übliche Patina und langweilenden Staub. Die Musik von Gisle Kverndokk kongenial.

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www.opernnetz.de, Frank Herkommer

Gewitterdräuen

Schwere Kost, würde Klitschko sagen. Øystein Wiik, der Librettist des Martin-Luther-Musicals, nimmt dem welthistorischen Thema nichts von seinem Gewicht. Theologisch versiert, geschichtsphilosophisch aufgestellt (pro Jakob Burckhard, contra materialistisch-marxistische Interpretation), psychologisch differenziert, historisch kundig, frech und humorvoll, schriftstellerisch mit aller kompositorischen Freiheit zaubert er eine Lutherinterpretation auf die Stufen zwischen Dom und St. Severikirche, die die Lust auf Unterhaltung, Aufklärung und Diskurs bedient. Weltgeschichtlichen Bewegungen entsprechen innere.

Wiik zeichnet diese ein in den Plot über die Kunstfigur des (Junker) Jörg, jenem Pseudonym, das dem Schreiben ohne Unterbrechung auf der Wartburg den Schutz gewährte und Weltliteratur Neues Testament zum Ergebnis hatte. Keine zweite Seele, kein alter ego, vielmehr die Ambivalenz, die jeder Entscheidung und Positionierung innewohnt in Umbruchzeiten individueller wie kollektiver Art. Zudem visualisierte Gewissenskämpfe. Wiik nimmt über diesen Hermeneuten die Nach- und Deutungsgeschichte mit hinein, sozusagen die Argumente der Gegenreformation und die vernichtende Kritik der reformatorischen Linken. Jörg spricht aus, was die Psychoanalyse an Verdikten über den Reformator bereit hält. Das Gewitterdräuen als Bedienen von Luthers Angstneurosen. Seine cholerischen Anwürfe, die er über Bilderstürmer und Chiliasten ausschüttet wie Gülle und dem späteren Abschlachten damit die Argumente liefert. Anfängliche Zögerlichkeiten und sein Zaudern vor dem Reichstag zu Worms, die in theologisch sauber herausgestellten reformatorischen Prinzipien wie dem sola scriptura und dem sola gratia ihre Auflösung erfahren. Wiik zieht die Liebesgeschichte mit Katharina von Bora vor, sie erscheint vor dem Klostereintritt Martins als fiktive „Beatrice“ Ursula und weist auf den sinnlich-erotischen Aspekt des Umbruchs hin, den die lutherische Orthodoxie später schmählich verraten hat. Dem Musical gelingt es, über die Alternativen Thomas Müntzer als dem Vertreter der Linken (er zitiert Proudhons Diktum, dass Eigentum Diebstahl sei) mit seinem Traum vom Dritten Reich (als Herrschaft des Heiligen Geistes und der Wiederherstellung des urchristlichen Kommunismus) und Martin Luther als Protagonist von Staatstreue und Volkskirche herauszuarbeiten, was damals die Alternative war. Köstlich die Institutionskritik an der Una Sancta, wenn der Papst in einem von fünf Tenniscaddys (und das vor dem katholischen Dom zu Erfurt) vorfährt, ein Kapaun, dem jedes strategische Verständnis abgeht. Die Entzauberung Friedrich des Weisen als Mann, der neben humanistischen Sympathien auch knallharte Interessenspolitik betrieb, gehört mit zu den diskursverdächtigen Anliegen Wiiks. Wunderbar der Schluss, der die Offenheit historischer Prozesse anzeigt. Nach der Niederlage der Bauern spricht Luther seine eigenen letzten Bettler-Worte, ante hum sozusagen. Die Nachgeschichte hat längst begonnen.

Matthias Davids inszeniert diese hochkomplexe und intensive Geschichte um Geschichte in einer gelungenen Balance, die oberlehrerhafte Belehrung vermeidet, ohne die Tiefe und Dichte zu verraten. Nutzen und Frommen der Historie, ohne übliche Patina und langweilenden Staub.

Die Musik von Gisle Kverndokk kongenial. Ein feste Burg auf der E-Gitarre, Choral zu Psalm 23 am Schluss, Bauerntänze und rockige Songs, ein Universum an Musikrichtungen wird gekonnt aufgebaut, um von Philipp Tillotson unterm (Zelt-)Dach vorzüglich umgesetzt zu werden. Unter seinem Dirigat erbringt das Philharmonische Orchester Erfurt eine hervorragende Leistung, wie der Opernchor des Theaters Erfurt, dem Andreas Ketelhut sichtbar Freude am vermeintlich seichten Genre Musical entlockt hat. Voller Verve stürzen sich die Chorherren und -damen ins Historiengetümmel, choreografisch bestens aufgestellt von Kurt Schrepfer. Herausragend seine gnostische Himmelfahrt, vorbei an den bösen Sieben (Planeten), seine Parodie auf den hieros gammos.

Knut Hetzer gelingt es, den überwältigend schönen Raum in das Geschehen aufzunehmen, ohne den bedrohlichen Charakter der Ungleichzeitigkeit (wie ihn der ungleichzeitige Islamismus in unsere Welt bringt), vielmehr mit seinem utopischen Überschuss. Überdimensionale Pflöcke eingerammt, die aufbrechen, Verwerfungen hervorrufen, gefährden. Beide Reiche, das geistliche wie das weltliche. In Leidenssituationen angestrahlt und an die Nägel am Kreuz verweisend und damit die Reformation unter das Kreuz stellend. In Hoffnungs- und Versöhnungsvisionen das Portal der Severi-Kirche mit Christus und Maria angeleuchtet. Hauswände mit den 99 Thesen. Die Domterrasse als Ort der Erhöhung des Volkes durch Münzer und Konsorten. Die Kostüme wunderbar sinnenträchtig und wo angebracht humorvoll.

Die gesanglichen Leistungen durchwegs ansprechend. Petra Madita Kübitz mit der Musicalstimme schlechthin, die Hörer erobernden Höhen, als Ursula. Carsten Lepper gibt einen selbstbewusst auftretenden, zum Tintenfasswurf provozierenden Jörg mit angenehmer, erstaunlich voluminöser Stimme, Yngve Gasoy-Romdal einen vorzüglichen Martin, der die Zerrissenheit glaubhaft und nachvollziehbar macht. Seine kultivierte, baritonale Stimme gibt dem Welttitanen die gebührende Ausstrahlung. Herrlich komödiantisch, wie Fernand Delosch Bunzel und Tetzel mimt und singt. Dekadent und an der Grenze zum Debilen, wunderbar überzeichnet Charlie Serrano als Leo X. Axel Meinhardt überzeugt als Vater Hans Luther und vor allem als Friedrich der Weise. Matthias Sanders baut stimmlich wie schauspielerisch ein überzeugendes Gegengewicht zu Martin Luther auf in der Rolle des Thomas Müntzer.

Das Publikum erträgt die unmöglichen Sitze, als ersparte es sich mit den Schmerzen einen Ablass. Warum in aller Welt keine Kissen? Ab und zu zaghafter Zwischenapplaus, am Ende ein donnernder Schlussapplaus. Von der Kulisse überwältigt, vom Stück sehr angetan. Um sich, wie bei Festspielen üblich, in alle Richtungen zu zerstreuen. Genau rechtzeitig setzt erst jetzt der Regen ein. Das hindert die meisten nicht, dem herrlichen Erfurt auch kurz vor Mitternacht noch ihre Reverenz zu erweisen. Schnell noch hin!

Frank Herkommer

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Opernnetz.de

Der norwegische Sänger Yngve Gasoy-Romdal besticht als Martin Luther auf den Stufen des Erfurter Doms

Eindrücklich die Kulisse: Vor den beiden katholischen Kirchen auf dem Hügel hat Knut Hetzer 14 mehrere Meter hohe Nägel montiert, die die Stufen spalten. Mit aufwendiger Lichtanlage werden sie mal zu Blitzen, mal zur Kanzel, reflektieren rot die blutigen Bauernkriege oder versinken in romantisches Blau beim Liebesduett. Regisseur Matthias Davids gelingt es mit den rund 70 Darstellern, den großen Treppenaufgang immer wieder mit neuem Leben zu füllen. Die Spanne reicht vom mittelalterlichen Markt bis zum päpstlichen Golfplatz. Unbestrittener Höhepunkt ist der Auftritt des vergnügungssüchtigen und geldgierigen Papstes Leo X, der mit seinem Gefolge in Golfwagen auf die Bühne fährt. Die Swing-Nummer mit der Liedzeile «Was für ein prächtiger Tag» erinnert an Chorus Line. Die Metapher, der Ablass sei ein «Hole in one» (Einlochen mit einem Schlag), ist genial. So macht die Geschichtsstunde Spaß.

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Der norwegische Sänger Yngve Gasoy-Romdal besticht als Martin Luther auf den Stufen des Erfurter Doms.

Von Ingo Senft-Werner 6. Jul 2008, 17:48

Erfurt – Im Schatten der katholischen Kirchen von Erfurt hat Reformator Martin Luther 500 Jahre nach seinem Wirken erneut für Aufsehen gesorgt. Als Musical-Star durfte er am Samstagnacht auf den Stufen des Erfurter Doms gegen Papst und Ablass wettern. Und das Publikum jubelte ihm zu.

Trotz der späten Stunde applaudierten die knapp 1900 Zuschauer minutenlang der Weltpremiere des Musicals «Martin L.» aus der Feder des norwegischen Erfolgs-Duos Gisle Kverndokk und Øystein Wiik.

Vor allem der erste Teil überzeugt mit guten Ideen, eingängigen Texten und abwechslungsreichen Melodien. Der norwegische Sänger Yngve Gasoy-Romdal besticht als Luther, Carsten Lepper als Luthers Alter Ego Jörg. Mit dem Einfall, den Reformator mit einer Doppelrolle zu besetzen, zeigen die Autoren spielerisch die Zerrissenheit Luthers – «an Hoffnung arm, an Zweifeln reich». In schwarzer Lack- und Ledermontur haucht Jörg Luther immer wieder Zweifel ein, stellt alle Handlungen und Erfolge infrage. Mit diesem Duo können manche Nebenrollen nur schwer mithalten. Das Orchester des Erfurter Theaters spielt die Musik von Kverndokk mit viel Engagement, meistert auch schwierige Rhythmuswechsel. Die Band wird nur sparsam eingesetzt; nur selten darf Luther rocken.

Eindrücklich die Kulisse: Vor den beiden katholischen Kirchen auf dem Hügel hat Knut Hetzer 14 mehrere Meter hohe Nägel montiert, die die Stufen spalten. Mit aufwendiger Lichtanlage werden sie mal zu Blitzen, mal zur Kanzel, reflektieren rot die blutigen Bauernkriege oder versinken in romantisches Blau beim Liebesduett. Regisseur Matthias Davids gelingt es mit den rund 70 Darstellern, den großen Treppenaufgang immer wieder mit neuem Leben zu füllen. Die Spanne reicht vom mittelalterlichen Markt bis zum päpstlichen Golfplatz.

Die Musicalmacher haben die Produktion extra «Martin L.» genannt, um sich nicht sklavisch an Luthers Biografie entlanghangeln zu müssen. Diese Freiheit nützen sie vor allem im ersten Teil für eine Liebesgeschichte mit einer historisch nicht verbürgten Erfurter Schönheit namens Ursula. Das Liebesduett «Lass mich nicht los» hat Kverndokk als Ohrwurm komponiert. Für Auflockerung sorgen die derben Sprüche und Späße von Martins Studienfreunden, die ein munteres Lied über ihre Verführungskünste beisteuern.

Unbestrittener Höhepunkt ist der Auftritt des vergnügungssüchtigen und geldgierigen Papstes Leo X, der mit seinem Gefolge in Golfwagen auf die Bühne fährt. Die Swing-Nummer mit der Liedzeile «Was für ein prächtiger Tag» erinnert an Chorus Line. Die Metapher, der Ablass sei ein «Hole in one» (Einlochen mit einem Schlag), ist genial. So macht die Geschichtsstunde Spaß.

Doch solche Geniestreiche gelingen dem Librettisten Wiik im weiteren Verlauf nur noch selten. Je mehr Luther zum Reformator wird, desto enger hält Wiik sich an die geschichtlichen Daten. Tetzels Ablasshandel, der Reichstag zu Worms, die Entführung auf die Wartburg, die Bauernkriege mit Thomas Müntzer – immer schneller ziehen die Szenen vorbei. Keine Zeit mehr für eine durchgängige Musical-Nummer, wie sie zu Anfang liebevoll in Szene gesetzt werden. Was bleibt sind einige eindrückliche Sequenzen wie der schreiende Chor an der Brüstung: «Martin ist der Mann, er führt uns an» oder das Luther-Lied «Ein feste Burg ist unser Gott» intoniert mit verzerrter E-Gitarre.

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dpa

Inszenierung, Ausstattung und Choreographie erreichen den Rang einer wunderbaren Augenweide

Die Treppenbühne vor der herrlichen Kulisse ist mit 14 riesigen, teilweise erklimmbaren Nägeln ausgerüstet, die an die Stahlstifte erinnern, mit denen Luther die Thesen an der Wittenberger Kirchentür befestigt haben soll. Regisseur Matthias Davids nutzt den gesamten Raum zu präzise gegliederten, ausfüllenden Szenen und beschenkt den Zuschauer mit effektvollen Bildern sowie faszinierenden Lichtstimmungen. Davids glänzt mit einem höchst originellen Einfall, der zwar überhaupt nicht in die Inszenierung passt, doch der Aufführung einen Glanzpunkt beschert: Der Papst bewährt sich als Golfer und bewertet den Ablasshandel als ein „Hole in one“, also ein best mögliches Resultat. Hier steppt seine Heiligkeit, und Schranzen schwärmen aus, um die Bälle einzusammeln.

Fuldaer Zeitung

Furios

Furios ist das Stück, weil der abwechslungsreich illuminierte Dom nebst Severikirche als Kulisse nicht zu übertreffen ist, wenn Männer von Welt in ein schicksalhaftes Gewitter geraten, wenn aufgebrachte Volkshorden sich auf einer tatsächlich gewaltig hohen Balustrade zusammenrotten, oder wenn Bauer und Fürstenlandsknecht aufeinander losgehen. (...) Wir sehen, wie Papst Leo X. Böses gegen L. im Schilde führt und gleichzeitig seinen Abschlag trainiert. Die Domfassade ist derweil mit päpstlich erleuchteten Golfbällen wie übersät. Dass Caddy-Wagen und das berühmte Papamobil einander ähneln, gibt dem Witz Bodenhaftung.

Frankfurter Rundschau

Fest der Bilder

14 riesige Nägel sind auf den Erfurter Domstufen "eingeschlagen". Sie verwandeln sich gemeinsam mit Dom und Severikirche in die atemberaubend schöne Kulisse für "Martin L. - das Musical". Von modern-witzig bis anspruchsvoll-biografisch spannt sich der Bogen des Musicals (Regie: Matthias Davids). Es ist ein Fest der Bilder (Bühnenbild, Kostüme: Knut Hetzer), es besticht mit pfiffigen Details und setzt bewusst Brüche. Wohl selten ist Luther einem menschlich so nah gekommen und hat soviel Vergnügen bereitet - "Martin L." sei Dank. Das Publikum - darunter Fans auf Norwegen - honorierte mit viel Beifall.

Ostthüringer Zeitung

Hole in One - der Papst spielt Golf.

Martin L.“, das Musical über die jungen Jahre des großen Wittenberger Reformators, erlebte am Samstagabend auf den Erfurter Domstufen vor einem begeisterten Publikum seine Welturaufführung. Viel war im Vorfeld darüber diskutiert worden, ob es denn in einem Musical redlich sei, die Biografie einer solch großen historischen Figur durch eine erfundene Liebesgeschichte aufzupeppen. Nach der Premiere lässt sich sagen: Øystein Wiik geht in diesem Punkt mit dem Stoff souverän um und bindet die Mär von Ursula (Petra-Madita Kübitz) plausibel und unterhaltsam in die Biografie ein. Sie verleiht dem Stück am Beginn die spielerische Leichtigkeit, die dem Genre eigen ist. Der geradezu geniale Höhepunkt der Inszenierung ist der Auftritt von Papst Leo X und seinem in Rot gewandeten Gefolge. Hier werden die Geldnöte der römischen Kurie beleuchtet und die Mittel, mit denen sie sich Geld zu verschaffen gedenkt. In einer wunderbaren Swing-Parodie auf die Textzeile „Was für ein prächtiger Tag“ demonstrieren die in Golf-Wagen vorfahrenden päpstlichen Golfspieler, dass die Idee eines Ablasshandels doch ein „Hole in one“, ein Einlochen mit einem Schlag, sei.

Freies Wort

Termine

05. Juli 2008, 21:00 Uhr
Domstufenfestspiele Erfurt

06. Juli 2008, 21:00 Uhr
Domstufenfestspiele Erfurt

08. Juli 2008, 21:00 Uhr
Domstufenfestspiele Erfurt

09. Juli 2008, 21:00 Uhr
Domstufenfestspiele Erfurt

10. Juli 2008, 21:00 Uhr
Domstufenfestspiele Erfurt

11. Juli 2008, 21:00 Uhr
Domstufenfestspiele Erfurt

12. Juli 2008, 21:00 Uhr
Domstufenfestspiele Erfurt

13. Juli 2008, 21:00 Uhr
Domstufenfestspiele Erfurt

16. Juli 2008, 21:00 Uhr
Domstufenfestspiele Erfurt

17. Juli 2008, 21:00 Uhr
Domstufenfestspiele Erfurt

18. Juli 2008, 21:00 Uhr
Domstufenfestspiele Erfurt

19. Juli 2008, 21:00 Uhr
Domstufenfestspiele Erfurt

20. Juli 2008, 21:00 Uhr
Domstufenfestspiele Erfurt