Stückinfo
Buch: Moss Hart
Musik: Kurt Weill
Liedtexte: Ira Gershwin
Deutsch von: Roman Hinze
Staatsoper Hannover,
Premiere 15. Oktober 2011
Liza Elliott, Herausgeberin eines renommierten Modemagazins, steckt in einer persönlichen Krise. Eine undefinierbare Unsicherheit und Angst bringen das Selbstbild der erfolgreichen Geschäftsfrau gehörig ins Wanken. Und immer in ihren schwachen Momenten verfolgen sie die Fragmente eines Kinderliedes, dessen Text und Melodie jedoch wie hinter einem Schleier verborgen bleiben. In ihrer Verzweiflung begibt sie sich in Behandlung des Psychoanalytikers Dr. Brooks und durchlebt in mehreren surrealen Traumsequenzen die Abgründe ihres Unterbewusstseins.
Mit dem 1940 entstandenen Musical „Lady in the Dark“ gelang Kurt Weill, der 1935 Nazi-Deutschland verließ und in die USA emigrierte, der endgültige Durchbruch am Broadway. Die Idee zu der Story stammt von Moss Hart, dem Verfasser etlicher Textbücher zu erfolgreichen Musicals, u. a. von Irving Berlin und Cole Porter. Hart, ein psychisch labiler Mensch, hatte sich nach depressiven Anfällen einer psychoanalytischen Behandlung unterzogen und war seither ein überzeugter Anhänger von Sigmund Freuds Methode. Für die Liedtexte gewann man Ira Gershwin, der sich nach dem Tod seines Bruders George vorübergehend vom Theaterbetrieb zurückgezogen hatte, an dem Stoff aber spontan Gefallen fand.
Medien
Leitungsteam
Matthias Davids
Mark Rohde
Melissa King
Heinz Hauser
Judith Peter
Darsteller
Winnie Böwe
Fabian Gerhardt
Roland Wagenführer
Christopher Tonkin
Uwe Kramer
Daniel Drewes
Kerstin Thielemann
Katharina Solzbacher
Mareike Morr
Carola Rentz
Peter Sikorski
Presse
Wenn die Liebe fehlt
Diese Aufführung macht berechtigt Hoffnung, dass sich in Deutschland der Blick auf das amerikanische Œuvre Kurt Weills verändern könnte. Je verrückter die Träume werden, desto besser wird die Inszenierung von Matthias Davids, desto ergreifender dirigiert Mark Rohde die Musik, desto irrer wird die Ausstattung von Heinz Hauser (Bühne) und Judith Peter (Kostüme). Die Aufführung [entwickelt] einen tatsächlich psychotischen Sog, die eskapistischen Moment nehmen zu ... Im Zirkustraum schließlich schnappt das Stück dann vollends über - und die Darsteller wie das Ballett feiern um die als Liza die Bühne beherrschende Winnie Böwe ein Theaterfest.
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Süddeutsche Zeitung, 17.10.2011
Wenn die Liebe fehlt
Wunderstück – Kurt Weills „Lady in the Dark“ in Hannover
Diese Aufführung macht berechtigt Hoffnung, dass sich in Deutschland der Blick auf das amerikanische Œuvre Kurt Weills verändern könnte. Lange galt alles, was Weill in Amerika und dort vor allem für den Broadway geschrieben hatte, als Verrat eines einst klassenkämpferischen Komponisten an seinen eigenen Idealen, man witterte den üblen Geruch des Kommerz. Doch zum einen führen inzwischen auch die Dreigroschenoper und Mahagonny ein exotisch-nostalgisches Randdasein in der deutschen Theaterlandschaft, zum anderen sind die Werke, die Weill in den USA komponierte, durchaus eine konsequente Weiterentwicklung seines Schaffens. Und lustigerweise behandelt Mahagonny ja bereits ein amerikanisches Sujet. Sieht man nun „Lady in the Dark“ in Hannover, so ist man verblüfft, wie exakt dieses Werk in unsere Zeit passt (die letzte Inszenierung war 1983 in Freiburg!). Die Hauptfigur, Liza Elliott, ist die Chefredakteurin eines bedeutenden Modemagazins; sie kann sich weder für den richtigen Mann in ihrem Leben entscheiden – drei stehen zur Auswahl – noch für die passende Titelseite der nächsten Ausgabe. Die Arbeit frisst ihr Privatleben auf, und, so würde man heute sagen, ein Burnout lähmt ihre Kreativität. Bei einem Psychiater sucht sie Hilfe – und findet die Antwort dann tatsächlich in ihrer Kindheit. Der Autor Moss Hart wollte Freud und seine eigenen Psychosen auf die Bühne bringen und suchte dafür gezielt die Zusammenarbeit mit Weill; die Songtexte lieferte Ira Gershwin, der dafür vier Jahre nach dem Tod seines Bruders George an den Broadway zurückkehrte. Die Uraufführung im Jahr 1941 wurde zur Sensation, die Show kam einschließlich einer Tournee auf 770 Vorstellungen, bei der Premiere saß neben dem Broadway- und Hollywood-Erfolgsduo Rodgers/Hammerstein auch Igor Strawinsky im Publikum, ein Hinweis darauf, dass Weill in den USA Avantgarde und Mainstream miteinander versöhnen konnte.
Auf dem Weg zur von Weill ersehnten uramerikanischen Oper, die ihm mit „Street Scene“ dann sechs Jahre später auch tatsächlich gelang, stellt „Lady in the Dark“ ein verrücktes Formexperiment dar. Und ein Amalgam aus klassischer Broadwaymelodie, der Harmonik des Berliner Weill und der Emphase des Verismo. Ist es Musical, ein Schauspiel mit Musik, ein Singspiel? Der Vorhang geht auf – und nichts erklingt. Keine Musik jedenfalls, nur der Sprechdialog zwischen Liza und ihrem Psychiater. Musik gibt es nur in vier Träumen Lizas, dazwischen wird viel gesprochen, in Lizas Redaktion und eben beim Psychiater. Weill suchte zu erreichen, dass die Musik ganz natürlich aus dem Drama heraus entsteht – deswegen ist es bei „Lady“ auch nicht möglich, die Songs auf Englisch zu bringen und deutsch zu sprechen, sofort hätte die Musik einen Couplet-Charakter. In Hannover gelingt die Verschmelzung tatsächlich sehr gut, auch dank einer neuen, angenehm schnörkellosen Übersetzung von Roman Hinze, durch die vergleichsweise sprachliche Atavismen und blödsinnige Reime geistern.
Weill nannte die musikalischen Träume in seinem Stück selbst einmal Operneinakter. Tatsächlich sind sie vielgestaltige Variationen mit dem Personal des Sprechtextes, Träume von Glamour, Hochzeit, Zirkus und Kindheit, die allesamt in Desastern enden. In sie hinein versenkt sich Liza durch die Melodie eines Liedes, das erst am Ende vollständig erklingt – „My Ship“, ein Wunderstück, vielleicht der beste Song, den Weill je schrieb, von der Genese her die Keimzelle der ganzen „Lady“. Und die Quintessenz: Alle Güter nützen nichts, wenn die Liebe fehlt.
Je verrückter die Träume werden, desto besser wird die Inszenierung von Matthias Davids, desto ergreifender dirigiert Mark Rohde die Musik, desto irrer wird die Ausstattung von Heinz Hauser (Bühne) und Judith Peter (Kostüme). Der Beginn wird noch hüftsteif, die Umsetzung des ersten Traums holprig, spekulativ. Aber dann entwickelt die Aufführung einen tatsächlich psychotischen Sog, die eskapistischen Moment nehmen zu, auch wenn man sich manches noch böser und schärfer wünschen könnte. Im Zirkustraum schließlich schnappt das Stück dann vollends über – und die Darsteller wie das Ballett feiern um die als Liza die Bühne beherrschende Winnie Böwe ein Theaterfest.
Egbert Tholl
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Süddeutsche Zeitung
Endlich wieder auf einer deutschen Bühne
Erst jetzt, genau 70 Jahre nach der Uraufführung und 60 Jahre nach der deutschsprachigen Erstaufführung, ist das Stück wieder zu sehen, im Opernhaus Hannover, sorgfältig vorbereitet, in einer ausgezeichneten neuen Übersetzung von Roman Hinze, und beim Regisseur Matthias Davids in den besten Händen. Hurra! (...) Insgesamt also eine Produktion, die außerordentlich begrüßenswert ist, in ihrer Kultiviertheit dem Opernhaus alle Ehre macht und der man sehr viele begeisterte Besucher wünscht.
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musicals, Dezember 2011
Lady in the Dark
Endlich wieder auf einer deutschen Bühne
Von WOLFGANG JANSEN
Es gibt einige Werke im reichhaltigen Fundus der Musicalgeschichte, die man von der Lektüre her kennt, die man musikalisch und stofflich schätzt, von denen es möglicherweise gar Toneinspielungen gibt – und die nicht bei uns gespielt werden. Bei einigen Stücken habe ich gar die Hoffnung aufgegeben, sie jemals live auf einer Bühne zu sehen. „Lady in the Dark“ von Kurt Weill gehörte bislang dazu, ein „Musical Play“, das Anfang der 1950er Jahre in Kassel und Berlin gespielt wurde und danach in der Versenkung verschwand. Erst jetzt, genau 70 Jahre nach der Uraufführung im New Yorker Alvin Theatre und 60 Jahre nach der deutschsprachigen Erstaufführung im Staatstheater Kassel, ist das Stück wieder zu sehen, im Opernhaus Hannover, sorgfältig vorbereitet, in einer ausgezeichneten neuen Übersetzung von Roman Hinze, und beim Regisseur Matthias Davids in den besten Händen. Hurra!
Natürlich ist das 1941 uraufgeführte Stück old-fashioned, erklingt eine Komposition aus einer Zeit, als die Instrumente noch nicht am Tonverstärker angeschlossen waren – vielleicht sollte man am Abend zuvor nicht unbedingt „We Will Rock You“ oder „Tanz der Vampire“ gesehen haben. Doch was für eine kluge Komposition! Wie leicht und gleichzeitig raffiniert führt Weill uns immer tiefer in das traumhaft-traumatische Innenleben der Hauptfigur, gleiten wir, geleitet von einem rudimentären Bruchstück eines Kinderliedes, immer weiter zurück bis zur Entdeckung der vollständigen Melodie und Lösung des Konflikts. Hinhören, genau hinhören, das ist hier gefragt. Und das Niedersächsische Staatsorchester unter der Leitung von Mark Rohde spielte die Partitur wunderbar präzise und transparent.
Stofflich muss man sich das Stück erst aufbereiten. Matthias Davids verweist im Programmheft auf die jüngsten Beispiele von Prominenten mit Burn-out. Einen ähnlichen Fall biete die Aufführung. Mir wollte indes scheinen, dass es eher die Geschichte eines Menschen ist, der an einem Punkt seines Lebens angekommen ist, an dem ihm Kopf, Körper und Gefühl signalisieren, dass es nicht mehr weitergeht – eine existenzielle Krise also, in der man als Betroffener erst ein Mittel suchen muss, diese zu verstehen und einen gangbaren Weg aus der bedrohlichen Situation heraus zu finden. Für Liza Elliott, die titelgebende „Frau im Dunkeln“, ist es die Psychoanalyse.
Liza Elliott ist ein Workaholic, eine geschäftlich äußerst erfolgreiche Frau. Obwohl selbst unscheinbar, kaum Wert auf klassische weibliche Attraktivität legend, im grauen Hosenanzug herumlaufend wie in einem Schutzpanzer, gibt sie ausgerechnet eine Modezeitschrift heraus, durch die ihre Leserinnen Tipps bekommen, wie sie noch schöner aussehen können. Liza ist unabhängig, in mittleren Jahren, hat ein Verhältnis mit dem älteren, verheirateten Kendall Nesbitt und sieht sich am Ende ihrer Wünsche. Doch dann treten plötzlich emotionale Unsicherheiten auf, unverständliche Heulattacken überfallen sie, Entscheidungsblockaden behindern ihren Arbeitsalltag. Sie kann die Anforderungen ihres anstrengenden Jobs nicht mehr erfüllen – endlich, nach einem halben Jahr, kurz vor dem nervlichen Zusammenbruch, holt sie sich professionelle Hilfe beim Psychoanalytiker.
Sie legt sich auf die Couch, getreu dem Vorbild Sigmund Freuds, und beginnt zu erzählen… Träume werden zum Medium der Erklärung, der Selbsterkenntnis, wirre surreale Träume, die Liza ihr Inneres aufschließen, Erinnerungskammern, die sie verschlossen wähnte, öffnen sich, emotionale Verletzungen, die längst verheilt schienen, beginnen erneut zu schmerzen. In vier großen Traumsequenzen, die Weill jeweils zu grandiosen Kurzopern ausformte, findet Liza den Schlüssel zu ihrem Problem. Die Vervollständigung der Melodie aus ihrer Kindheit, von der sie nur noch den Fetzen erinnerte, hilft ihr. Danach hat sie die Kraft, die Verbindung zu Nesbitt zu beenden, und sieht sich zum ersten Mal in den Augen eines liebenden/geliebten Mannes selbst als strahlende, schöne und begehrenswerte Frau. Ein neues Leben kann beginnen.
Nur die Traumsequenzen sind musikalisch gestaltet. Alle Szenen beim Psychoanalytiker und in der Redaktion sind Sprechszenen von teils erheblicher Länge. Zehn Minuten nach Beginn der Aufführung hat man immer noch keine einzige Note gehört. Weill und seine Texter Moss Hart und Ira Gershwin haben die Dramaturgie des Stücks radikal aus dem Stoff heraus gedacht. Konventionen der Erwartung (wie etwa: Ein Werk des Musiktheaters beginnt mit einer Ouvertüre) schienen ihnen offenkundig gleichgültig. Noch immer wirkt diese Radikalität gerade zu Beginn der Vorstellung in hohem Maße irritierend, dabei ist sie letztlich nur ähnlich konsequent wie das Verstummen der Musik in Leonard Bernsteins „West Side Story“ nach Tonys Tod.
„Lady in the Dark“ hält in der Titelpartie eine Riesenaufgabe bereit. Die Aufführung steht und fällt mit der Besetzung dieser Rolle. Liza Elliott befindet sich praktisch permanent auf der Bühne, sie bildet das Zentrum des Geschehens und tritt nur gelegentlich zum Kostümwechsel in die Kulisse: eine Partie mit gleich hohen Anforderungen an das Schauspiel wie den Gesang. In Hannover hat man Winnie Böwemit der Aufgabe betraut – und sie macht es überwiegend bravourös. Sie absolvierte eine Ausbildung zur Schauspielerin an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin und nahm zusätzlich privat klassischen Gesangsunterricht. In dieser Kombination ist sie eine Idealbesetzung für das Stück. Wie soll man künftig je wieder an die Rolle denken, ohne sie vor dem inneren Auge zu haben? Nur die brennende Angst, die Liza ausfüllt, das Dunkle und Bedrohliche, das über dem Geschehen liegt, hätte ich mir mitunter etwas deutlicher gewünscht.
Nachdrücklich bleibt auch Uwe Kramer als Psychoanalytiker Dr. Brooks in Erinnerung, eine reine Sprechrolle und eigentlich sehr undankbar. Doch da kommt ein Schauspieler auf die Bühne, spricht zwei Sätze, und man ahnt den ganzen Charakter seiner Figur. Das war so wunderbar, dass mit schlicht der Atem wegblieb. Wo in den ersten Minuten die Böwe ihren Text noch eher aufsagt, steht mit ihm ein Mensch auf der Bühne und adelt die Szene.
Dagegen traten die anderen Darsteller in den Hintergrund: Fabian Gerhardt als verkappter Romantiker Charley Johnson, Christopher Tonkin als Schönling Randy Curtis oder Daniel Drewes als tuntiger Fotograf Russell Paxton. Melissa KingsChoreografie war handfest, der Chor textlich zumeist unverständlich, das Lichtdesign von Susanne Reinhardt nichtssagend, das Bühnenbild von Heinz Hauser beim Wechsel zu den Traumszenen zu statuarisch und die Kostüme von Judith Peter waren eine Orgie von Farben und Fülle, die wesentlich dazu beitrugen, die Handlung optisch aus der Zeit der Stückentstehung zu lösen.
Insgesamt also eine Produktion, die außerordentlich begrüßenswert ist, in ihrer Kultiviertheit dem Opernhaus alle Ehre macht und der man sehr viele begeisterte Besucher wünscht.
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musicals
In Good Hands
In any event, Lady is in good hands at Staatsoper Hannover, which pulled out all the stops. (...) The dream sequences are a director’s dream, of course. They offer a fantastic playground for all kinds of fantasies, and Davids uses this opportunity to the fullest in his playfully surreal, yet carefully conceived staging that creates a web of crossreferences. (...) The Circus Dream’s frivolous black and red is perfect for the staging’s most spectacular idea: a gigantic Barbie doll posing as the Goddess of Justice, holding out her bra on a hanger in lieu of a scale.
Kurt Weill Foundation Newsletter
Im Modezirkus
„Lady in the Dark“ ist eine Herausforderung. Nicht für den neugierigen Zuschauer, aber für das Theater und seinen Apparat. Das hannoversche Opernensemble meistert die Schauspielherausforderung souverän.Die Geschichte springt zwischen Redaktionsbüro, Psychiaterpraxis und den Traumwelten hin und her. Matthias Davids, der in Hannover schon mehrfach gezeigt hat, wie gute (und kluge) Unterhaltung aussieht, koordiniert diese Sprünge punktgenau und hat immer noch einen Einfall parat. Heinz Hauser hat ihm mit einer Spiegelkonstruktion einen raffiniert zu nutzenden Spielraum geschaffen – und später für die Gerichtsszene im Zirkustraumbild auch noch ein pfiffiges Bild. Kostümbildnerin Judith Peters durfte in die Vollen greifen. Man kann gar nicht so schnell hinsehen, wie die Kleider gewechselt werden. Allen voran von Winnie Böwe, die als Liza Elliott eine Traumbesetzung ist, weil sie den rechten Ton trifft.
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Hannoversche Allgemeine, 17.10.2011
Im Modezirkus
Kurt Weills Musical „Lady in the Dark“ an der hannoverschen Staatsoper
Von Rainer Wagner
„Lady in the Dark“ ist eine Herausforderung. Nicht für den neugierigen Zuschauer, aber für das Theater und seinen Apparat. Das beginnt schon damit, dass dieses Musical ein Zwitterstück ist. Der gesprochene Textanteil ist größer als der Musikbeitrag – auf den ersten Ton wartet man fast zehn Minuten lang.
Sie kann sich nicht entscheiden. Beim Titelbild für die nächste Magazinausgabe, beim Familienstand, beim Mann ihrer Wahl. Die Gründe für diese Ratlosigkeit liegen im Dunkeln. Deshalb legt sich die „Lady in the Dark“ auf die Psychiatercouch und lässt in sich blicken. Was dort zu sehen ist, hat in der hannoverschen Staatsoper die Premierenbesucher fasziniert. Kurt Weills Musical wurde zu Recht gefeiert.
Das ist nicht selbstverständlich, denn dieses 70 Jahre alte Stück war zwar am Broadway zunächst ein großer Erfolg, verschwand dann aber von den Bühnen. Nennenswerte Produktionen in Deutschland kann man an den Fingern einer Hand abzählen.
Das liegt wohl auch daran, dass sich die Deutschen schwertun mit dem amerikanischen Kurt Weill. Erst den Mann vertreiben und ihm dann übelnehmen, dass er auf dem Broadway sein Glück sucht. Dass es zwischen dem deutschen Songspiel-Weill und dem amerikanischen Musical-Komponisten auch noch einen Pariser Weill gab und (schon in Amerika) auch einen biblisch-jüdisch Engagierten, macht es nicht einfacher.
Obendrein ist „Lady in the Dark“ nicht nur ein Traumspiel, was im Theater öfter vorkommt, sondern auch ein Psychodrama. Entstanden in einer Zeit, in der die Begeisterung für die freudianische Psychoanalyse religiöse Züge annahm. Gottlob hat Buchautor Moss Hart seine eigenen Analyseerfahrungen nicht ganz so todernst verarbeitet (und die aktuelle Textfassung von Roman Hinze lockert alles zusätzlich auf). Die Titelheldin lässt sich auch ohne Freuds „Traumarbeit“ verstehen: Heute würde man Liza Elliott wohl als Burn-out-Gefährdete mit Panikattacken und cholerischen Anfällen diagnostizieren und eine frühkindliche Kränkung als Ursache finden.
Wer als hässliches Entlein zurückgewiesen wurde, der erfindet sich eben später als Schwanen-Macherin wieder. Liza Elliott ist Herausgeberin des Modemagazins „Allure“. Das hat nichts mit Allüren zu tun, sondern steht für Verlockung, Versuchung. Doch die gesteht Liza Elliott nur den anderen Frauen zu: Der arme Teufel trägt nicht Prada, sondern Grau. Dafür sind ihre Träume umso farbiger.
„Lady in the Dark“ ist eine Herausforderung. Nicht für den neugierigen Zuschauer, aber für das Theater und seinen Apparat. Das beginnt schon damit, dass dieses Musical ein Zwitterstück ist. Der gesprochene Textanteil ist größer als der Musikbeitrag – auf den ersten Ton wartet man fast zehn Minuten lang. Aber das hannoversche Opernensemble meistert die Schauspielherausforderung souverän (und geschickter als das hiesige Schauspiel seine Gesangsprobleme, die in Kurt Weills „Silbersee“ zeitgleich in Hannover zu erleben sind).
Die Geschichte springt zwischen Redaktionsbüro, Psychiaterpraxis und den Traumwelten hin und her. Matthias Davids, der in Hannover schon mehrfach gezeigt hat, wie gute (und kluge) Unterhaltung aussieht, koordiniert diese Sprünge punktgenau und hat immer noch einen Einfall parat. Heinz Hauser hat ihm mit einer Spiegelkonstruktion einen raffiniert zu nutzenden Spielraum geschaffen – und später für die Gerichtsszene im Zirkustraumbild auch noch ein pfiffiges Bild. Kostümbildnerin Judith Peters durfte in die Vollen greifen. Was die Staatsoper bei der ausstattungsminimalistischen „Traviata“ einsparen konnte, das wird hier in den Stoff umgesetzt, aus dem die Träume sind. Man kann gar nicht so schnell hinsehen, wie die Kleider gewechselt werden. Allen voran von Winnie Böwe, die als Liza Elliott eine Traumbesetzung ist, weil sie den rechten Ton trifft. Ob „Die Geschichte der Jenny“ oder das sinnstiftende Lied „Mein Schiff“ (das am Ende endlich kommt und das Happy End mitbringt), Winnie Böwe meidet Opernpathos, ohne sich im Nightclub zu verlieren.
Das alles ist amüsant, wenn die Modeverrückten von Pontius zu Pilates rennen. Das entwickelt den zu erwartenden Kinderzauber im Zirkustraum (nicht umsonst spricht man vom Modezirkus), in dem Daniel Drewes im Song „Tschaikowsky (und andere Russen)“ 50 russische – oder zumindest russisch klingende – Komponistennamen in einer guten Minute unterbringen will.
Diese verbale Zirkusnummer, die Songtexter Ira Gershwin bei seinen Jugendarbeiten wiedergefunden hatte, war bei der Uraufführung der Durchbruch für Danny Kaye, in Hannover wiederholt Drewes den Song noch mal mit mehr Speed. Und am Ende, nach dem Jubel, zeigt das Ensemble, dass es den halsbrecherischen Song gemeinsam drauf hat.
Chor und der agile Kinderchor sind von Dan Ratiu wohl instruiert, auch wenn man vom Chor nicht immer alles versteht. Melissa Kings Choreografie wird vom Ballett gewitzt umgesetzt, und das Ensemble demonstriert, wie homogen Schauspieler, Sänger und Sängerschauspieler zusammen arbeiten. Zumal Mark Rohde am Dirigentenpult alles und alle souverän koordiniert – etwa auch Uwe Kramer als Psychiater Dr. Brooks, Christopher Tonkin als Schauspielstar Randy Curtis oder Roland Wagenführer als Bye-bye-Big-Daddy Kandell Nesbitt. Kerstin Thielemann (Maggie Grant), Katharina Solzbacher (Alison Du Bois) und die herrlich schräge Mareike Morr (Elinor Foster) geben dem Modezirkusaffen sogar noch etwas mehr Zucker.
Am Ende bekommen sich die beiden Zeitungsmacher Charles Johnson (charmant starrsinnig: Fabian Gerhardt) und Liza Elliott, aber das hat man geahnt, denn was sich neckt, das liebt sich. Und wird von den Augenzeugen geliebt.
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Hannoversche Allgemeine
Burnout am Broadway
Heute ist die, zugegeben anspruchsvoll aufwendige "Dame im Dunkel", die in Deutschland bisher kaum ins Scheinwerferlicht treten durfte, das Musical der Stunde. Es geht in "Lady in the Dark" nämlich um Erschöpfungszustände und Psychoanalyse, Freudiana und Frigidität, Nerven und Neurosenkavaliere, Mode und mentale Ausfälle: Burnout am Broadway also. Wunderbar souverän bewegen sich hier unter Matthias Davids' scheinbar lässiger, sich nie mit unnötigen Aktualisierungen in den Vordergrund schiebender Regie die Darsteller, verändert sich das eigentlich karge, geschickt mit Videos aufgepeppte Bühnenbild. Hannover freut sich, und dieses intelligent funkelnde Weill-Juwel findet hoffentlich bald Nachspiel-Liebhaber.
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Die Welt, 17.10.2011
Burnout am Broadway
Hier singt Miriam Meckel: An der Staatsoper Hannover leuchtet Kurt Weills Musical „Lady in the Dark“
Die Ouvertüre kommt erst vor dem zweiten Akt. Eine Viertelstunde wird an der Staatsoper Hannover nur geredet. Eine Frau liegt dabei auf der Couch. Ein Doktor hört zu. Auch sonst ist in diesem Musical von 1941 alles anders als sonst. Denn die opulenten Sing- und Tanznummern, nur drei an der Zahl und ein kurzer Finalsong, sind wie Miniopern in ein cleveres Sprechstück eingewoben. Sie verkörpern die Albträume und Wünsche der Hauptdarstellerin, mal glamourös, mal romantisch, mal surreal, mal ödipal. Dementsprechend durchgeknallt, aber unterhaltsam geht es hier ab.
Drei der größten Broadway-Talente haben „Lady in the Dark“ geschrieben: Das Buch stammt von dem als Autor wie Regisseur erfolgreichen Moss Hart, die Songtexte sind von Ira Gershwin und die Musik komponierte der in die USA emigrierte Kurt Weill. Er wurde mit diesem Werk zum Amerikaner. Das fand auch die New Yorker Kritik, die eigentlich mehr proletarischen Weimarer Republik-Sound wollte, doch das Publikum liebte das Stück und strömte in Scharen ins Theater – zwei Jahre lang. Auf vier Drehbühnen wurde ein Aufwand betrieben, der heute ungefähr zehn Millionen Euro entspräche. Mit der singenden Schauspielerin Gertrude Lawrence war ein Star aufgeboten, der heute nur mit Lady Gaga als Rollenmodell zu vergleichen ist. Hollywood Hunk Victor Mature spielte einen Hollywood Hunk. Leider konnte er nicht singen. Dafür räumte als tuntiger Fotograf in einem nicht einmal einminütigen Song, in dem 49 russische Komponistennamen heruntergerasselt werden, ein noch unbekannter Komiker ab: Danny Kaye. Selbst Mitchell Leisens Verfilmung von 1944 wurde ein Hit, obwohl fast alle Songs gestrichen worden waren. Dafür trug Ginger Rodgers das teuerste Kostüm der Kinogeschichte: ein Zobelkleid im Wert von 35 000 Dollar.
Heute ist die, zugegeben anspruchsvoll aufwendige „Dame im Dunkel“, die in Deutschland bisher kaum ins Scheinwerferlicht treten durfte, das Musical der Stunde. Und das nicht nur, weil einige der Weill-Songs, wie „My Ship“, „One Life To live“ oder die anzügliche „Saga of Jenny“, Standards geworden sind. Es geht in „Lady in the Dark“ nämlich um Erschöpfungszustände und Psychoanalyse, Freudiana und Frigidität, Nerven und Neurosenkavaliere, Mode und mentale Ausfälle: Burnout am Broadway also.
Im Mittelpunkt: die beinharte, plötzlich anfällige Herausgeberin eines berühmten Fashionmagazins, die sich nicht einmal mehr zwischen zwei Titelbildern entscheiden kann. Osternummer oder Zirkus? Das ist hier die Sein-oder-Nichtsein-Frage, die Liza Elliot fast in den Wahnsinn treibt. Was einst als Parodie auf die damals legendär hysterische „Harper’s Bazaar“- und „Vogue“-Chefin Diana Vreeland gemünzt war, wird in Hannover in der vokal wie dramatisch hinreißenden Anverwandlung von Winnie Böwe eine weich gezeichnete Mischung aus Anna Wintour und Miriam Meckel.
Der Modeteufel am Rande des Nervenzusammenbruchs trägt hier die immergleiche mausgraue Arbeitsuniform und schwenkt seine blonde Bobfrisur. Aber wenn Liza auf der mit einem Perserteppich belegten Psychocouch wegdämmert, die Heinz Hauser mitten in ein bühnenfüllend schick geknicktes Magazincover zwischen die Realität aufhebende Spiegel und Schleier gestellt hat, dann wird die Böwe zur schnurrenden Musicaltigerin des Unbewussten.
Wunderbar souverän bewegen sich hier unter Matthias Davids‘ scheinbar lässiger, sich nie mit unnötigen Aktualisierungen in den Vordergrund schiebender Regie die Darsteller, verändert sich das eigentlich karge, geschickt mit Videos aufgepeppte Bühnenbild. Nur am Anfang war noch ein wenig Stadttheater-Behäbigkeit abzuschütteln, dann spielt sich das Staatsorchester unter Mark Rohde im elegant wechselhaften Weill-Sound warm. Schräge Rumbas, Boleros und Walzers kehren Lizas Innerstes nach außen. Da wirbeln zwischen weißen Traumnebeln Vernissagen und Abschlussfeiern durcheinander, wird Lizas zeitgenössisches Porträt zur Drei-Cent-Briefmarke, tanzen Clowns und Cowboys, Brautjungfern und Layouter. Aus dem Slip einer Monsterbarbie, die ihren BH als Justitias Wagschalen schwenkt, wird über Lizas Lethargie das Urteil gesprochen, bis sie sich endlich an das Lei(d)tmotiv aus Kindertagen erinnert: das Lied „Mein Schiff“, mit dem ihre schöne Mutter suggerierte, dass sie selbst hässlich sei. Als sie das endlich begreift, ist Liza sogar bereit, sich ihrer Nemesis in Gestalt des Werbechef-Machos an den Hals zu werfen. Und alles ist musicalgut. Hannover freut sich, und dieses intelligent funkelnde Weill-Juwel findet hoffentlich bald Nachspiel-Liebhaber.
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Die Welt
Knallig inszeniert
Hannovers Staatsoper hat sich an diesen in Deutschland selten aufgeführten Klassiker gewagt und ihn angemessen knallig (Regie: Matthias Davids) auf die Bühne gestellt. Die vier Alpträume: Die lohnen den Besuch, was da an Kostümen aufgefahren wird, hat echtes Broadway-Niveau. Wenn Liza Elliott davon träumt, dass das nächste Cover ihrer Zeitschrift irgendwie vom Zirkus handeln soll, tobt eine durchgeknallte Clown-Meute choreografisch (Melissa King) reizvoll bewegt über die gesamte Bühne. Szenenapplaus, als in einer traumhaften Gerichtsverhandlung Justizia als gigantische Barbie-Puppe mit runtergelassenem Slip (hierin schaukelt froh der hohe Richter) auf die Bühne gerollt wird. Und phantastisch sind die Videoprojektionen (Max Friedrich, Daniel Wolff), die dem Ganzen den nötigen Irrsinn geben.
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Neue Presse, 17.10.2011
Kurt Weills „Lady in the Dark“ in der Oper knallig inszeniert
Kurt Weills „Lady in the Dark“ hatte in der Oper Premiere: teils toll inszeniert, aber mit Längen.
von henning queren
Der Teufel trägt Prada, und hier steckt er irgendwie im Stück. Die Geschichte ist eigentlich super, der ganze Wahnsinn der Vogue-Mode-Medienwelt, dazu ein kräftiger Schuss Psychoanalyse, Burn-out, zeitgemäßer gehts ja kaum – und wurde doch schon 1941 von Kurt Weill („Dreigroschenoper“) als echtes Broadway-Musical geschrieben.
Hannovers Staatsoper hat sich an diesen in Deutschland äußerst selten aufgeführten Klassiker gewagt und ihn passagenweise angemessen knallig (Regie: Matthias Davids) auf die Bühne gestellt. Gut wirds immer in den Alpträumen, die die Chefin der Modezeitschrift „Allure“, sie ist die „Lady in the Dark“, ständig überfallen. Das ist die Geschichte: Liza Elliot gehts nicht gut, weiß nicht weshalb und geht deshalb zu einem Psychiater.
Der findet die Gründe (früher immer zurückgewiesen, weil scheinbar zu hässlich) und sie den richtigen Mann (der praktischweise auch noch ein Kollege bei der Zeitschrift ist).
Die vier Alpträume: Die lohnen den Besuch, was da an Kostümen aufgefahren wird, hat echtes Broadway-Niveau. Wenn Liza Elliott davon träumt, dass das nächste Cover ihrer Zeitschrift irgendwie vom Zirkus handeln soll, tobt eine durchgeknallte Clown-Meute choreografisch (Melissa King) reizvoll bewegt über die gesamte Bühne. Szenenapplaus, als in einer traumhaften Gerichtsverhandlung Justizia als gigantische Barbie-Puppe mit runtergelassenem Slip (hierin schaukelt froh der hohe Richter) auf die Bühne gerollt wird. Und phantastisch sind die Videoprojektionen (Max Friedrich, Daniel Wolff), die dem Ganzen den nötigen Irrsinn geben.
Die Musik: Auch sie lohnt den Besuch. Wenn sie denn mal loslegt (wie zu Beginn des zweiten Aktes) ists bester Broadway. Liza Elliot (Winnie Böwe) hat zwei Arien mit Gänsehautpotenzial: „Mein Schiff“ (die Julie Andrews gerne sang) und das schwelgerische „Die Saga der Jenny“. Und dann ist da noch der Song „Tschaikowsky“, in dem Russell Paxton (Daniel Drewes) hintereinander die Namen von 50 russischen Komponisten abspult – Szenenapplaus – und in einem Dacapo noch einen Gang schneller schaltet.
Sänger sind häufig keine geborenen Sprechdarsteller, und deshalb geht es auf der Bühne über weite Strecken zu wie im solidesten Boulevard – bis sich dann ganz am Ende Liza und Kollege Charley „Zungenkuss gefällig“ Johnson (Fabian Gerhardt) absehbar bekommen. Das zieht sich. Der Wortanteil am Abend liegt bei 50 Prozent, was eigentlich kein Problem ist, wenns richtig zündet. Aber diese Konstellation von Mann, Frau, Psyche und Medien (Buch: Moss Hart) ist, wir sind schließlich in der Modebranche, ziemlich oldfashioned. Aber auch das kann ja einen gewissen Retro-Reiz entfalten.
Das Publikum war weitgehend begeistert, feierte auch Roland Wagenführer als Dauerverlobten Kendall Nesbitt, den auch stimmlich durchtrainierten Cowboy (Christopher Tonkin) und die kurzfristig als Maggie Grant einsprungene TV-Schauspielerin Kerstin Thielemann („Alarm für Cobra 11“). Der Chor belebte im ersten Akt mit einer gewissen Lässigkeit die Modewelt. Das klein besetzte Orchester hatte unter Dirigent Mark Rohde den nötigen rhythmischen Drive. Das Regieteam (Kostüme: Judith Peter) bekam den meisten Applaus.
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Neue Presse
Zurecht gefeiert
In Hannover wurde das selten gespielte Broadway-Musical zu Recht gefeiert, weil die Staatsoper mit diesem Zwitter zwischen Schauspiel und Musical sehr gut zurecht kam. Die Dame im Dunkeln wurde erfolgreich ins Scheinwerferlicht gerückt. Das alles ist amüsant, wenn die Modeverrückten von Pontius zu Pilates rennen, und es entwickelt den zu erwartenden Kinderzauber im Zirkustraum, in dem Daniel Drewes im Song „Tschaikowsky (und andere Russen)“ 50 russische – oder zumindest russisch klingende – Komponistennamen in einer guten Minute unterbringen will. Diese verbale Zirkusnummer von Songtexter Ira Gershwin war bei der Uraufführung der Durchbruch für Danny Kaye, in Hannover wiederholt Drewes den Song noch mal mit mehr Speed. Und am Ende, nach dem Jubel, zeigt das Ensemble, dass es den halsbrecherischen Song gemeinsam drauf hat.
Die deutsche Bühne
Wie ein Güterzug ohne Bremsen.
Die Show funktioniert auch heute noch bestens. Eindringlicher und treffender ist das Thema Burnout-Syndrom in keinem anderen Musical umgesetzt. Regisseur Matthias Davids und Bühnenbildner Heinz Hauser [finden] eine starke Lösung: Ein großer, mit Gaze gefüllter und knapp die halbe Bühnenbreite ausfüllender Rahmen, dahinter ein nach vorn gekippter, halbdurchsichtiger Spiegel. So kann Eliza sich hinter dem Gazevorhang auf die Couch des Psychiaters legen und ist im Spiegel aus der Vogelperspektive zu sehen. Die Traumszenen sind voll von guten Ideen. Also, warum wird "Lady in the Dark" so selten gespielt? Für kleine Häuser ist die aufwendige Show sicherlich nichts, aber den großen Bühnen sei sie ans Herz gelegt. Die rundum gelungene Produktion in Hannover ist die beste Werbung dafür.
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musicalzentrale.de, Oktober 2011
Wie ein Güterzug ohne Bremse
Mit dem seltenst gespielten Weill-Musical ist der Staatsoper eine echte Entdeckung gelungen: Ausstattungstheater vom Feinsten, dazu eine Inszenierung und eine neue Textfassung, die das 60 Jahre alte Musical mit seinem Burnout-Thema aktuell, witzig, intelligent und bewegend strahlen lassen. (Text: Robin Jantos)
Premiere: 15.10.2011 Rezensierte Vorstellung: 22.10.2011
Warum gab es eigentlich im deutschsprachigen Raum seit Jahren keine Produktion mehr von „Lady in the Dark“? Denn auch wenn Moss Hart, Ira Gershwin und Kurt Weill 1941 über ein Zeitgeistthema – die Psychoanalyse – geschrieben und das Stück mit einem Schluss nach dem damaligen Frauenbild versehen haben: Die Show funktioniert auch heute noch bestens. Eindringlicher und treffender ist das Thema Burnout-Syndrom in keinem anderen Musical umgesetzt. Und das Ende lässt sich, wie die Produktion in Hannover beweist, mit kleineren Kürzungen auch vom Muff befreien und kommt weder kitschig noch reaktionär daher.
Es ist ein ganz und gar ungewöhnliches Musical, das die Autoren damals präsentiert haben. „Schauspiel mit Musical“ würde als Bezeichnung passen. Denn die gesamte reale Handlung ist Sprechtheater, durch das sich lediglich ein Song als Leitmotiv zieht. Es dauert etliche Minuten, bis überhaupt der erste Ton zu hören ist. An drei Stellen versinkt die Hauptfigur Eliza dann in eine Traumwelt – inszeniert jeweils als üppiges, mehrere Songs umfassendes Mini-Musical.
Im ersten Akt steht die Psyche der toughen Modemagazin-Herausgeberin Eliza Elliott, die sowohl beruflich als auch privat vor wichtigen Entscheidungen steht und plötzlich Angstattacken bekommt, im Mittelpunkt. Am Broadway waren die Übergänge zwischen realer Welt und Traumwelt damals mit vier Drehbühnen in bis dato unvorstellbarem Aufwand umgesetzt worden.
Auch für Hannover finden Regisseur Matthias Davids und Bühnenbildner Heinz Hauser eine starke Lösung: Ein großer, mit Gaze gefüllter und knapp die halbe Bühnenbreite ausfüllender Rahmen, dahinter ein nach vorn gekippter, halbdurchsichtiger Spiegel. So kann Eliza sich hinter dem Gazevorhang auf die Couch des Psychiaters legen und ist im Spiegel aus der Vogelperspektive zu sehen. Wenn ihre Erzählung in die Traumwelt übergleitet, lässt sich einfach durch Lichteinsatz der Gazevorhang undurchsichtig oder der Spiegel durchsichtig machen.
Der Bühnenclou für die Szenen in der Realwelt: Das Bühnenbild ist ein stilisierte Magazincover, im selben Winkel geneigt wie der Spiegel. Der Teil des Bildes, der wegen des Spiegels fehlt, ist auf den Bühnenboden gemalt. Ist die Bühne hell und der Spiegel undurchsichtig, setzt sich das Bühnenbild in ihm also fort.
Die Traumszenen sind voll von weiteren guten Ideen. Judith Peter kann mit ihren Kostümen aus dem Vollen schöpfen und das große Ensemble für alle Träume neu und fantasievoll ausstatten – etwa, wenn Eliza vom Tanz mit dem Filmstar Randy Curtis träumt und das Ballett mit über- und zweidimensionalen Masken der beiden aufläuft. Melissa King nutzt für ihre Choreographien geschickt die Effekte, die der Spiegel ermöglicht. Und die Videoprojektionen von Max Friedrich und Daniel Wolff visualisieren die Ängste und Wünsche Elizas.
Im zweiten Akt spielt das Psychothema eine weniger wichtige Rolle, dafür kommt die Geschichte stärker ins Rollen, der Ton wird heiterer. Aber das tut der Show auch gut, um die Balance zwischen Problemstück und Unterhaltung zu halten. Roman Hinzes Neuübersetzung ist flüssig, witzig und kommt ohne sperrige Begriffe aus. Und Davids setzt die privaten und beruflichen Wirrungen erfreulich unprätentiös in Szene.
Die musikalische Wirkung kann mit der Bilderwucht insgesamt nicht ganz mithalten. Zwar spielt das Staatsorchester unter Leitung von Mark Rohde souverän und mit gut gesetzten Akzenten, klingt aber – gerade in Verbindung mit dem Opernchor – doch sehr klassisch. Zu der in die heutige Zeit versetzten Inszenierung hätte wohl auch eine modernere Instrumentierung gepasst. Weills flotte Melodien könnten das bestimmt ab.
Bei der Besetzung dieses Schauspiel-Musical-Zwitters setzt die Oper Hannover zu Recht auf etliche Gäste, die ursprünglich vom Schauspiel kommen. Eliza-Darstellerin Winnie Böwe ist im Musical („My Fair Lady“ in Hannover) ebenso zu Hause wie im Fernsehen („Familie Dr. Kleist“) und Kino („Blutzbrüder“). Sie gibt die in der Show omnipräsente Eliza im ständigen Wechsel zwischen der souveränen Führungskraft und der verletzten, verzweifelten Frau, die nicht versteht, was mit ihr passiert.
Auch die übrigen Solisten zeigen Rollenporträts, die genügend Tiefe haben, um Sympathien zu wecken und nicht im Klischee stecken zu bleiben. Etwa Kerstin Thielemann als Elizas businessgestählte Freundin Maggie, Fabian Gerhardt als sprücheklopfender Marketingchef, Christopher Tonkin als von den Frauen angehimmelter (aber leider mit starkem Akzent sprechender) Filmstar und Daniel Drewes als überdrehter Fotograf. Drewes bringt auch souverän den dankbaren Showstopper „Tschaikowsky“, in dem er in halsbrecherischem Tempo die Namen russischer Komponisten herunterrasselt. Als Zugabe zeigen die durch die Bank starken Solisten, dass sie die Nummer auch im Chor beherrschen.
Also, warum wird „Lady in the Dark“ so selten gespielt? Für kleine Häuser ist die aufwendige Show sicherlich nichts, aber den großen Bühnen sei sie ans Herz gelegt. Die rundum gelungene Produktion in Hannover ist die beste Werbung dafür.
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musicalzentrale.de
Traumdeutung à la Weill
Regisseur Matthias Davids erzählt die Geschichte mit Verve und Tempo. Heinz Hauser hat als durchgängiges Bühnenbild eine Konstruktion entworfen, die wie eine die ganze Bühne einnehmende aufgeklappte Seite eines Magazins aussieht – das Modemagazin Liza Elliotts, oder aber auch abstrakt eine aufgeschlagene Seite eines Menschen, einer Seele – vieles ist möglich. Viele weitere kleine Einfälle lassen immer wieder belebte und lebendige Bilder entstehen. Die Kostüme Judith Peters zitieren in den Realszenen die Mode der 40er Jahre, lassen in den Traumsequenzen der Phantasie freien Lauf für viele Assoziationen und Details. So entsteht insgesamt eine optisch sehr ansprechende Show, treffende Darstellungen der einzelnen Charaktere, Bilder voller Schwung – unterstützt durch die Choreographien Melissa Kings – kurzum: eine runde Sache.
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opernnetz.de, Oktober 2011
Traumdeutung à la Weill
Kurt Weills Musical Lady in the Dark kam 1941 am Broadway zur Uraufführung und war ein gutes Jahr lang sehr erfolgreich. Danach wurde es etwas stiller um das Stück. In Deutschland gab es bislang nur vereinzelt Aufführungen, erstmalig 1951 in Kassel. Die Geschichte dreht sich um Liza Elliott. Sie ist erfolgreiche Herausgeberin eines Modemagazins und gerät auf dem Höhepunkt ihrer Karriere in eine schwere Krise. Unerklärliche Ängste vor dem Leben und vor sich selbst bestimmen sie, nächtliche Träume zeigen sie ihr selbst ganz glamourös, als Frau von Lust und Leidenschaft, weit entfernt von der kühlen und kontrollierten Geschäftsfrau. Ein Lied aus ihrer Kindheit drängt sich ihr immer wieder in den Sinn, ohne dass sie es genau identifizieren kann. Schließlich sucht sie den Weg zu einem Psychoanalytiker, um ihren seltsamen Verstimmungen auf den Grund zu gehen. Im Lauf des Stücks werden Liza ihre Vergangenheit, vor allem ein Kindheitstrauma, aber auch ihre Wünsche und Sehnsüchte immer klarer. Die Szenenfolge gliedert sich in die Besuche bei ihrem Analytiker, vier große Traumsequenzen und Szenen, die sie bei ihrer Arbeit zeigen. Liza Elliott steht zwischen zwei Männern und kann sich nicht entscheiden. Am Ende schließlich kommt sie mit einem dritten zusammen – die gemeinsame Erinnerung an das Lied aus Kindertagen, die zum Schluss ganz deutlich wird, verbindet beide.
Äußere Handlung steht also in diesem Musical weniger im Mittelpunkt als die psychische Entwicklung der weiblichen Hauptfigur. Aufgeladen von Aktionen und Emotionen sind vor allem die Traumszenen, die sind auch musikalisch am stärksten gelungen. Dazwischen gibt es nicht nur umfangreiche, sondern mitunter lange Dialogszenen, die sich nicht recht vom Fleck zu bewegen scheinen. Das Thema Psychoanalyse wird mit einigen Klischees beladen, die heute so keine Gültigkeit mehr haben. So lohnenswert einerseits also die Entdeckung dieses in den Hintergrund geratenen Stückes ist, so sehr offenbart sie andererseits auch die immanenten kleinen Schwächen in der Dramaturgie des Librettos.
Davon lässt sich Regisseur Matthias Davids allerdings überhaupt nicht beeinflussen und erzählt die Geschichte mit Verve und Tempo. Heinz Hause hat als durchgängiges Bühnenbild eine Konstruktion entworfen, die wie eine die ganze Bühne einnehmende aufgeklappte Seite eines Magazins aussieht – das Modemagazin Liza Elliotts, oder aber auch abstrakt eine aufgeschlagene Seite eines Menschen, einer Seele – vieles ist möglich. Ein rahmenartiger Ausschnitt birgt mal einen Spiegel, vor dem die Couch des Psychoanalytikers, die hier allerdings ein bequemes Bett ist, steht, gibt mal den Blick auf eine aufgemalte Skyline frei. Aus dem Fußboden taucht in den entsprechenden Szenen Lizas Schreibtisch auf, viele weitere kleine Einfälle lassen immer wieder belebte und lebendige Bilder entstehen. Die Kostüme Judith Peters zitieren in den Realszenen die Mode der 40-er Jahre, lassen in den Traumsequenzen der Phantasie freien Lauf für viele Assoziationen und Details. So entsteht insgesamt eine optisch sehr ansprechende Show, treffende Darstellungen der einzelnen Charaktere, Bilder voller Schwung – unterstützt durch die Choreographien Melissa Kings – kurzum: eine runde Sache.
Dafür sorgen ebenfalls Mark Rohde und das Staatsorchester, die Weills Musik pointiert swingend, mit Leichtigkeit und Esprit zum klingen bringen. Unter den genauso schauspielerisch wie sängerisch geforderten Protagonisten überzeugt vor allem Winnie Böwe als zwischen Traum und Wirklichkeit changierende Liza. Die sie umgarnenden Männer sind mit Christopher Tonkin als Randy Curtis, Fabian Gerhardt als Charly Johnson und Roland Wagenführer als Kendall Nesbitt mehr als nur typengerecht besetzt. Uwe Kramer ist ein besonnener Psychoanalytiker Dr. Brooks. Als Lizas Angestellte geben Daniel Drewes als Russell Paxton, Kerstin Thielmann als Maggie Grant, Katharina Solzbacher als Alison du Bois und Mareike Morr als Elinor Foster ihren Rollen Profil. Die übrigen Solisten in den kleinen Partien sowie der Staatsopernchor und das Ballett vervollständigen das kompetente Ensemble.
Das Publikum lässt sich vom beschwingten Lauf des Abends anstecken, applaudiert gut gelaunt und bekommt dafür sogar noch eine kleine Zugabe.
Christian Schütte
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Termine
14. Oktober 2011, 19:30 Uhr
Staatsoper Hannover
15. Oktober 2011, 19:30 Uhr
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22. Oktober 2011, 19:30 Uhr
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25. Oktober 2011, 19:30 Uhr
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31. Dezember 2011, 19:30 Uhr
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03. März 2012, 19:30 Uhr
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21. März 2012, 19:30 Uhr
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