Dennis Russell Davies, der schon die Uraufführung von "McTeague" in Chicago dirigiert hatte, führt das Bruckner-Orchester Linz sicher durch die Partitur. Auch szenisch ist die Aufführung, die zahlreiche Wechsel der Schauplätze bewältigen muss, gut gelöst. (...) Hilflos taumelt der vereinsamte McTeague durch die Wüste im "Tal des Todes", um sich an entscheidende Erlebnisse seines verpfuschten Lebens zu erinnern, das ihn schließlich bis zum Mord führt. Und so werden die Häuser des an Westernfilme erinnernden Straßenzuges zusammengeklappt, während das Bühnenbild, entworfen von Mathias Fischer-Dieskau, weiter rotiert, so dass ein wüst-ödes Szenario entstehen kann. Regisseur Matthias Davids macht den Wandel des Protagonisten-Trios glaubhaft, er hat auch die Massenszenen souverän im Griff.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 08.02.2016
Zu schön, um wahr zu sein
Von der Schnulze über die Arie bis zum Rag: William Bolcoms gesellschaftskritische Oper „McTeague“ wird am Musiktheater Linz als europäische Erstaufführung gezeigt.
LINZ, 7. Februar
Wenn einer so zupackt wie dieser Baum von Mann, dann sollten eigentlich alle Alarmglocken schrillen. Doch Trina ist schlichtweg nur beeindruckt von der Kraft des blonden, wortkargen Hünen McTeague. Das wirkt umso merkwürdiger, weil sich hinter dem harten Griff, mit dem er den Arm der jungen Frau packt, eine etwas unbeholfene Liebeserklärung verbirgt. Viel mehr als körperliche Stärke scheint ihm nicht zur Verfügung zu stehen, immerhin, auch etwas handwerkliches Geschick muss er haben, sonst hätte er als ehemaliger Gehilfe eines Dentisten nicht so lange als vermeintlicher Zahnarzt herumpfuschen können. Das verhilft McTeague zunächst zu bescheidenem Wohlstand. Doch dann kommt das Gold, und alles wird anders.
Wie die Gier nach Reichtum und deren jäher Umschlag in Geiz das Leben der Menschen in einem trostlosen Vorort von San Francisco verändern können, das ist das zentrale Thema des 1899 erstmals erschienen Romans „McTeague“ von Frank Norris. Er spielt in der Zeit des „Gold Rush“ in Kalifornien, der Autor orientiert sich an den naturalistischen Erzähltechniken Émile Zolas. Größere Bekanntheit gewann das Buch später durch Erich von Stroheims Film „Greed“ aus dem Jahr 1923. Und wiederum Jahrzehnte später, 2004, hatte dann auch Frank Castorf bei der Ruhr-Triennale ein Theaterstück aus dem Roman gemacht. Da war aber inzwischen auch schon im Auftrag der Lyric Opera of Chicago eine Oper dazu entstanden, 1992 komponiert von William Bolcom, die jetzt am Wochenende in Linz ihre europäische Erstaufführung erlebte.
Bolcom, 1938 geboren, ging zunächst am Mills College durch die Schule von Darius Milhaud und studierte später in Paris, am Konservatorium, bei Olivier Messiaen. Seine ersten Werke in den sechziger Jahren waren noch stark von seriellen Techniken bestimmt, aber dann wandte sich Bolcom doch wieder der Polystilistik der frühen Werke Milhauds zu. Oper sei „bloß Abendunterhaltung“ hatte er bereits im Vorfeld der Uraufführung erklärt. Sein Statement im Linzer Programmheft ergänzt das Bekenntnis, er wolle vor allem „aus einer weit gefächerten Musik-Skala schöpfen“. Und dies löste Bolcom, dem die Trennlinie zwischen „ernster“ und „leichter“ Musik stets ein Dorn im Auge gewesen war, auch ohne Wenn und Aber ein.
Immer wieder tauchen musicalartige Elemente, Bluegrass-, Blues- und Ragtime-Motive auf, die das mit Keyboard und Schlagzeug verstärkte Orchester in zahlreichen Zwischenspielen variiert. Es ist ein breit angelegtes Pasticcio unterschiedlichster Musikstile zu hören, die handwerklich gekonnt miteinander vereint, doch zugleich auch immer noch dem in den neunziger Jahren, der Hochblüte des sogenannten postmodernen Komponierens, herrschenden Zeitgeschmack geschuldet sind. So weicht etwa die musicalselige Stimmung bei der Hochzeit McTeagues und Trinas plötzlich düsteren Klangflächen, als der Lotterieagent wie ein steinerner Gast an die Türe pocht, um Trina den Gewinn zu bringen, der alles verändern wird. Rasch entspinnt sich ein von drohenden Clusterakkorden begleiteter Streit zwischen dem jungen Ehepaar und Schouler, dem Freund McTeagues, dem er die Freundin ausgespannt hat und der sich jetzt auch noch um den Lotteriegewinn betrogen sieht. Die Szene kulminiert in polytonalen Bläsersequenzen, die wiederum abgelöst werden von einem schnulzigen Lovesong Trinas – zu schön, um wahr zu sein.
Kurzum: Die Musik Bolcoms mäandert zwischen den Genres und verspielt damit nicht nur ihre dramaturgische Konsequenz, sondern auch die Wahrhaftigkeit. Selbst wenn der zweite Akt, in dem die Gier nach dem Lotteriegold Ehe, Freundschaft und Leben zerstört, weit geschlossener wirkt als der erste, überzeugt Bolcoms polystilistische Oper nur in einigen Szenen. Das liegt sicher auch daran, dass er keine schlüssige musikalische Chiffre für den in der Romanvorlage auch mental als Außenseiter gezeichneten McTeague findet. Corby Welch folgt mit seinem hellen, metallischen Tenor eher den Gesangslinien eines Strahlemanns als denen eines Sprachbehinderten. Wenig von dem Geiz, mit dem die in der Höhe etwas schrille Trina von Çigdem Soyarslan ihren Lotterieschatz hütet, vermittelt sich in dieser weichgezeichneten Sopranpartie. Am ehesten noch wird in der Rolle von Schouler, den Michael Wagner, kurzfristig eingesprungen, mit klar fokussiertem Bariton singt, ein wenig von dem Hass und der Begierde spürbar, deren zerstörende Kraft die Romanvorlage beherrscht.
Dennis Russell Davies, der schon die Uraufführung von „McTeague“ in Chicago dirigiert hatte, führt das Bruckner-Orchester Linz sicher durch die Partitur. Auch szenisch ist die Aufführung, die zahlreiche Wechsel der Schauplätze bewältigen muss, gut gelöst. Sie folgt der Dramaturgie, wie sie Filmregisseur Robert Altman entwarf, als einer Strategie der Rückblenden: Hilflos taumelt der vereinsamte McTeague durch die Wüste im „Tal des Todes“, um sich an entscheidende Erlebnisse seines verpfuschten Lebens zu erinnern, das ihn schließlich bis zum Mord führt. Und so werden die Häuser des an Westernfilme erinnernden Straßenzuges zusammengeklappt, während das Bühnenbild, entworfen von Mathias Fischer-Dieskau, weiter rotiert, so dass ein wüst-ödes Szenario entstehen kann. Regisseur Matthias Davids macht den Wandel des Protagonisten-Trios glaubhaft, er hat auch die Massenszenen souverän im Griff. Und doch gibt es einen ernsten Einwand: Angesichts der vielen, auch musikalisch wirklich spannenden zeitgenössischen Opern, die ihrer Zweitaufführung harren, ist dies vergebene Liebesmühe und eine Übung am falschen Objekt.
REINHARD KAGER
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